4. Dezember 2010

Wozu Journalisten noch gebraucht werden

Die OZ fragte sich und die Leser:
Terrorist, Spion — oder was?
Die USA suchen nach Wegen, dem Wikileaks-Gründer den Prozess zu machen. ...
Und wenn sie keinen Weg finden, gibt es ja noch Guantanamo, wo seit Jahren Menschen eingesperrt werden, für deren Verurteilung einfach keine Gründe gefunden werden. Schon vergessen, OZ?
Die OZ vergaß mitzuteilen, Assange habe darauf hingewiesen, dass automatisch alles veröffentlicht werde, falls ihm oder anderem Wikileaks-Mitgliedern etwas zustoßen sollte.

Es gibt so vieles, das die OZ in diesem Zusammenhang nicht für berichtenswert hält. Eine Auswahl:

1. Die OZ hat bis heute nicht berichtet, was aus den US-Soldaten wurde, die in aller Seelenruhe Zivilisten im Dutzend ermordeten.  Als die OZ über das Video berichtete, das die Massenmörder selbst aufgenommen hatten, durfte es für die Leser Wikileaks nicht geben; eine Schande für den Journalismus, Quellen zu verschweigen.

2. Dieses Zitat zeigt den jämmerlichen Zustand des Journalismus:
"Es ist beschämend für die Pressewelt, dass solche Enthüllungen von einer Nichtmedienorganisation kommen", sagt der Journalismusprofessor Mark Feldstein von der George Washington University. Es sei Aufgabe von Reportern, diese Art von Informationen ausfindig zu machen.

3. Vor allem ist die OZ nicht fähig, aus den Informationen Zusammenhänge herzustellen, weiterzudenken, eine der vielen Schwächen der Redaktionen. Anderswo gelingt das, und Sie können es sogar kostenlos im bösenbösen Internet lesen:
... So wie weiland die Kirche eines ihrer heiligen Sakramente verletzt sah, eines ihrer Mysterien, sieht nun der Staat eins der seinen verletzt: das Mysterium der diplomatischen Vertraulichkeit. Die Macht des Staates liegt in solchen Mysterien. Sie zu durchbrechen heißt ihn zu schwächen. Das haben die konservativen Kritiker, die jetzt „Hochverrat“ schreien, richtig erkannt. ...
Das Internet ermöglicht Offenheit und Klarheit, wo vorher Herrschaft und Kontrolle gewaltet haben. Das ist, weit über den Fall der State Department Files hinaus, eine Chance für die Bürger, für die Demokratie und auch für den Staat. Verheerend ist es nur für solche Herrschaft, die auf dem Geheimnis gründet oder auf der Angst. Information ist nicht immer das Gegenteil von Angst. Denn Wissen kann beunruhigen. Aber darin liegt eine Aufforderung zur Übernahme von Verantwortung. Desinformation dagegen ist immer der Feind der Freiheit. Diese Aufforderung richtet sich an die Bürger selbst, denen das Netz ein Mittel an die Hand gibt, ein bisschen Unabhängigkeit zu gewinnen gegenüber ihren Journalisten und ihren Politikern.

Denn die wirklich beunruhigende Dimension dieses Datenskandals ist doch der Gestus der Unterwerfung, der allerorten sichtbar wird, bei den Medien und bei der Politik. 
... Und warum reagieren so viele Journalisten so mürrisch auf die Wikileaks-Veröffentlichungen? Es wäre „am Ende das beste gewesen, die Datenflut wäre nie aus den Computern gequollen“ hat die Süddeutsche Zeitung geschrieben. ...

Normalerweise rechtfertigen staatliche Stellen mit solchen Worten die Knebelung der Presse. Es ist ernüchternd, sie von Journalisten zu hören. Das embedding, das als kluge PR-Strategie der amerikanischen Armee im Irak-Krieg begann, ist hier weit gediehen. Ein Journalist, der die Wikileaks-Daten zuerst unter dem Gesichtspunkt der nationalen, oder –  schlimmer noch – westlichen Sicherheit sieht, hat sich selbst erfolgreich zu Bett gebracht – und die Pressefreiheit gleich mit. ...

Nur zur Erinnerung: Die Folter in Abu Ghraib, das Waterboarding in den CIA-Gefängnissen, das Niedermähen unbewaffneter Zivilisten in Afghanistan – all das, was die USA in gefährliche Nähe zu den Unrechtsregimen im Nahen Osten, zu China und zur untergegangenen Sowjetunion gebracht hat, ist eben nicht durch „Parlamente und Gerichte“ an den Tag gekommen, sondern durch die Zusammenarbeit neuer und klassischer Medien. (Darüber ließe sich streiten.) Wir brauchen nicht weniger, sondern mehr solcher Veröffentlichungen: Hätte Wikileaks rechtzeitig die Lügen des Pentagon über die vermeintliche Bedrohung aufgedeckt, die Saddam Hussein darstellte – der Irak Krieg mit seinen zahllosen Toten hätte nicht geführt werden können.

Wir haben weiß Gott wenig Grund, unseren Politikern zu trauen. (Ich überlege und überlege und finde keinen einzigen Grund.) Und es gibt – von der vergleichweisen Lappalie des Stuttgarter Hauptbahnhofs bis hin zur welterschütternden Datenflut aus dem State Department – eine Reihe von Hinweisen dafür, dass die Bürger buchstäblich nicht mehr bereit sind, alles mitzumachen. Sie wissen längst, dass im Arcanum staatlicher Hoheit keine höhere Weisheit am Wirken ist, sondern nur menschliches (Mittel)Maß, und jetzt fordern sie Akteneinsicht. ...
Hervorhebungen von mir

... weil Journalisten sie nicht fordern und sich so, langsam aber sicher, als Aufklärer überflüssig machen und vor allem nur noch Nachplapperer sind. Davon verstehen sie allerdings ein Menge.

1 Kommentar:

  1. Anonym5.12.10

    Wer ist denn nun der Böse?
    Der, der die Verbrechen begeht oder der, der die Verbrechen aufdeckt?
    Eine völlig verkehrte Welt!

    AntwortenLöschen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.

Google