25. Januar 2007

Wir haben von nichts gewusst!

Die OZ hat das Thema "Hungerlöhne" entdeckt und umfangreich berichtet. Das ist dabei herausgekommen:

80 000 arbeiten in MV für Hungerlohn

So würden beispielsweise in einigen Betrieben des Hotel- und Gaststättengewerbes laufende Arbeitsverträge einfach durch neue ersetzt – zu wesentlich schlechteren Konditionen. „Kaum jemand wehrt sich dagegen – die Angst um den Verlust des Arbeitsplatzes ist groß“, sagt Christiane Walter.
Und die Angst nimmt weiter zu. „Lieber arbeite ich für weniger Geld, als gar keinen Job mehr zu haben.“
Warum ist das so? Warum arbeiten Zehntausende, ohne mit ihrem Verdienst das Existenzminimum zu erreichen? Warum klagen sie nicht gegen sittenwidrige Löhne von fünf Euro und weniger, wie es andere taten. Ein ungeheuer wichtiges Thema, von der OZ vernachlässigt!

In einem zweiten Bericht las ich:

Wer nicht mitspielt, fliegt raus

Ob Call Center, Gastronomie, Bau oder Friseursalon – Stundenlöhne von drei oder vier Euro gehören in MV zum Arbeitsalltag.
„Der Arbeitgeber zahlte mir 680 Euro brutto – ein Stundenlohn von 4,20 Euro“, sagt Müller. Davon konnte er sich nicht mal eine Wohnung leisten. Sein ehemaliger Arbeitgeber dementiert: „Keinesfalls wird ein Stundenlohn von nur vier Euro gezahlt“, sagt Call-Center-Chef Cay-Uwe Flach. Wie viel wirklich verdient wird, will er aber nicht verraten.
Hat sich der Redakteur den Lohnzettel zeigen lassen? Dann wäre die sinnlose Nachfrage beim Arbeitgeber überflüssig gewesen.
Auch hier fehlt der Querverweis auf ein Urteil, das besagt, fünf Euro sind sittenwidrig.
Seit den sog. Hartz-Gesetzen seien Arbeitssuchende „faktisch gezwungen, Arbeit um jeden Preis anzunehmen“. Löhne von drei Euro und weniger pro Stunde seien mittlerweile gängig.
Genau das ist der Skandal! Die Regierung hat mit den Änderungen des sog. Hartz 4-Gesetzes dafür gesorgt, dass die Stundenlöhne noch weiter sinken. Die Löhne würden noch niedriger, führte die Regierung Kombilöhne ein. Das ist ein wichtiges Thema, aber bitte nicht erst in sieben Jahren.
Keinen Gedanken verschwendete der Autor daran, dass Ein-Euro-Jobs wahrscheinlich mehr zum Sinken des Lohnniveaus beitragen als eine Verringerung der Exportquote.
Vor wenigen Tagen haben Zollbeamte die Baustelle des Kröpeliner-Tor-Centers in Rostock kontrolliert – und sind fündig geworden: „Eine Zeitarbeitsfirma hat dort Arbeiter für 5,90 Euro beschäftigt“, sagt Jörg Dahms von der IG BAU. Vorgeschrieben ist ein Mindestlohn von 8,90 Euro. Ein Fall für das Arbeitsgericht.
Wo bleibt die Frage an den Zoll, warum nicht ständig flächendeckend kontrolliert wird, statt dass Kontrolleure der Argen Alg 2-Empfänger jagen, bei denen meist nichts zu holen ist?
Die meisten Häuser sind mittelständisch und können Anstiege im größten Kostenblock – dem Personal – nicht verkraften. Barsewitz: „Es werden doch kaum Gewinne erzielt.“ Kostenänderungen hätten Preissteigerungen zur Folge.
Welche Belege gibt es dafür? Der Autor fragte nicht nach.
Wo bleibt der Vergleich mit Hotels und Gaststätten, die ihrem Personal mehr zahlen? Sind dort die Preise entsprechend höher, oder erwirtschaften die Unternehmer dort ständig ein Minus?
Auch in die boomende und von Schwerin finanziell massiv geförderte Call-Center-Branche in MV mit ihren 12 000 Arbeitsplätzen bekommen die Gewerkschafter kaum einen Fuß. Unter den Firmen seien so viele schwarze Schafe, dass Insider von einer Schachbrettmuster-Branche sprechen. Der Durchschnittslohn liegt bei 900 Euro brutto.
Hier hatte ich die Nase voll! Was berichtete die OZ über Monate hinweg über Call-Center? Hier eine Auswahl:

29.3.06

7.8.06

7.7.05

6.3.06

Michael Meyer schrieb einen Wir-haben-von-nichts-gewusst-Kommentar zum Thema "Hungerlöhne":

Armes Land
Es ging kein Ruck durch Deutschland. Es war ein schleichender Prozess. Ein Prozess der moralischen Enthemmung auf der ökonomischen Bühne.(Was haben Moral und Ökonomie miteinander zu tun? Nichts.) Immer weniger Menschen verdienen immer mehr Geld, und immer mehr Menschen verdienen so wenig, dass sie in Armut leben.
Nur weil die Ostsee-Zeitung nichts gemerkt hat, war es noch lange kein schleichender Prozess. Das sog. Auseinanderdriften der Gesellschaft setzte für die DDR-Bürger unmittelbar nach der Wende ein und beschleunigt sich seit mindestens sieben Jahren. Wer seine Augen nur ein ganz klein wenig offen hielt, konnte es sehen. Auch Warner und Mahner gab und gibt es in Hülle und Fülle, die nur zur Kenntnis genommen werden müssten. Doch wer damit beschäftigt ist, das gesellschaftliche Leben im Nordosten und sogar in ganz Deutschland schönzuschreiben, z.B. Die deutsche Wirtschaft erlebt einen Boom wie seit 15 Jahren nicht mehr (Das ist falsch!), hat weniger Gelegenheit, vom Verfassen von Hurra-Meldungen aufzublicken.

Dennoch, nun hat die OZ mitbekommen, dass auch in ihrem Verbreitungsgebiet Hunderttausende mit dem Lebensnotwendigsten zurecht kommen müssen – und die meisten von ihnen keine OZ lesen.

Zugleich schieben sich Ackermänner, Essers, Zwickels, Hartz' Millionen zu und finanzieren sich vor Gericht Freifahrtscheine. Das ist der Werteverfall.
Welche Werte verfallen?
Dazu kommt die moderne Form der Ausbeutung. Die wirtschaftlich desaströse Situation der vergangenen Jahre hat in Deutschland Lohndumping als Umgangston etabliert.
Was ist daran modern? Damit wurde im Kapitalismus seit dessen Beginn nur fortgesetzt, was seit Jahrtausenden passierte.
Kritiker der Entwicklung wurden als Miesepeter diffamiert, die den „Standort“ gefährden. Arbeitnehmern so wenig zu zahlen, dass sie keine Familie ernähren können, ist nicht anrüchig. Es ist System.
Es ist doch auch nicht anrüchig für Redakteure, die über Jahre hinweg das Thema verschliefen, ein Gehalt zu beziehen, das fast doppelt so hoch ist wie der ostdeutsche Durchschnittsbruttolohn (In den neuen Ländern und Berlin-Ost lag im Jahr 2005 der durchschnittliche Verdienst bei 2263 Euro brutto; Statistisches Bundesamt, Datenreport 2006). In welchem Verhältnis steht solch eine Redakteursleistung zu der eines Schlossers, der 762 Euro verdient?
... 3,6 Millionen Menschen verdienen in Deutschland unter Niedriglohn. Dazu vier Millionen Arbeitslose, die finanziell auf einem ähnlichen Niveau stehen. Also zehn Prozent Armut. (Nein, das sind noch nicht alle Armen.)
Diese Menschen schaffen wenig Mehrwert (Das ist fraglich.), kurbeln den Konsum nur gering an, zahlen wenig Steuern und haben kaum Anteil an der gesellschaftlichen Entwicklung. Sie stehen im Abseits.
Und sie kaufen keine OZ. Das ist bitter, denn vom 1. Quartal 1998 bis zum 3. Quartal 2006 verringerte sich die verkaufte Auflage um 18,3 %.

In MV dümpeln 80 000 im Niedriglohnsektor. Plus 155 000 Arbeitslose. 15 Prozent Armut. Man muss kein Prophet sein, um zu sagen: So koppelt sich eine Region ab. So wird MV das Armenhaus der Republik.
Falsch! Es ist mit anderen neuen Bundesländern bereits das Armenhaus.

Wiederum komme ich nicht umhin zu denken, dass sich die Berichterstattung am Rande der Scheinheiligkeit bewegt. Sich mit der Begründung reinwaschen zu wollen, einen schleichenden Prozess entdeckt zu haben, ist lächerlich.

Ein weiteres Thema wird gerade verschlafen oder aus springer-nden Gründen missachtet: die umlagefinanzierte Rente. Wer sich dafür interessiert, muss andere Zeitungen lesen oder im Internet nachschauen.

3 Kommentare:

  1. Anonym25.1.07

    tolles blog! als ueckermünder habe ich erfreut gesehen, dass es wohl jemanden gibt, der der oz den rücken gekehrt hat. gut - der nk ist auch nicht viel besser, aber ...
    http://www.behrens-mb.blogspot.com/

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  2. Anonym26.1.07

    mit auch nicht besser meinte ich das: http://bp2.blogger.com/_ZjdqSbQVuGc/RbmZoFxzLpI/AAAAAAAAAW0/uiWd_pNw4z0/s1600-h/i.jpg
    Nordkurier, 25.1.2007 - Bericht über die Suppenküche in Löcknitz mit diesem Foto: Ich würde den NK verklagen für so ein Bild von mir

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  3. Mit einer Klage käme der Mann nicht durch, denn er hat offensichtlich sein Einverständnis gegeben, fotografiert zu werden. Er würde sonst nicht in die Kamera gucken.
    Jemand, der auch nur im Ansatz weiß, wie fotografiert wird, sollte wissen, dass er nur dann Menschen beim Essen ablichtet, wenn er sie nicht leiden kann. Ob das der Fall war, kann ich nicht beurteilen.

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