16. November 2011

Schöngeschreibsel

Das musste mal wieder sein und passt zum hier beschriebenen Werbetext für Krämer:
Volle Auftragsbücher: Wirtschaft im Norden macht gute Geschäfte
1. Was ist ein volles Auftragsbuch? Bis wann reichen die Aufträge?
2. Was ist der Norden?
3. Was sind gute Geschäfte?
Aufschwung beflügelt vor allem die Metall- und Elektroindustrie.
Was ist mit den anderen Wirtschaftszweigen? Sie werden staunen.
Experten warnen aber schon vor der nächsten Krise.
Die deutsche Wirtschaft zeigt sich unbeeindruckt von der Euro- und Schuldenkrise in Europa. 
Das ist ja wohl die Gegenwartsform und falsch dazu. Doch es werden alte Daten genannt, die nicht nur für den Norden, sondern für ganz D. zutreffen:
Von Juli bis September dieses Jahres wuchs das Bruttoinlandsprodukt um 0,5 Prozent. Das teilte das Statistische Bundesamt gestern mit. Bereits das dritte Quartal lief besser als bisher bekannt war: Die Behörde korrigierte frühere Angaben von 0,1 auf 0,3 Prozent Wirtschaftswachstum. Ein Grund für den Aufschwung ist die gestiegene private Kauflust.
Weiter:
Deutschland sei die Konjunkturlokomotive (?) für ganz Europa. 60 Prozent der Exporte — auch aus dem Nordosten (?) — gehen in den Euroraum. Matschenz: „Und genau hier beginnt das Problem.“ Weitet sich die Krise in Europa aus, dürfte das auch hierzulande spürbar werden. ...
Sie weitet sich aus und es ist auch schon abzulesen, allerdings können das OZ-Leser nicht, denn es würde die Schönschrift allzu sehr verderben:
Die ZEW-Konjunkturerwartungen werden in einer Umfrage bei 400 Finanzexperten aus Banken, Versicherungen und großen Industrieunternehmen ermittelt. Mit einem Indexstand von -55,2 Punkten wurde der tiefste Stand seit Oktober 2008 markiert.
Oder:
der Jobmarkt entwickelt sich nicht robust (Abb. 14925). Die Löhne sind nach Herausrechnung der Inflationsrate seit Mitte 2009 immer weiter gefallen und stagnieren für den letzten 12-Monats-Zeitraum (Abb. 14982). Und die Inflationsrate entwickelt sich mit derzeit 2,5 % (in M-V drei Prozent) nicht mehr besonders moderat (Abb. 17013). Der Einzelhandel schließlich stagniert weiter (Abb. 04943) (in M-V rückläufig). Dabei scheint das Plus von 0,5 % weitgehend einem Sonderfaktor im Automobilbereich zu verdanken zu sein. Nach Feststellungen der Commerzbank haben viele deutsche Automobilbauer im Sommer anders als üblich durcharbeiten lassen, was das Konjunkturwachstum im dritten Quartal um 0,2 bis 0,3 Prozentpunkte erhöht habe.
Außerdem: Der Index des Volumens an Auftragseingängen des verarbeitenden Gewerbes war von Juni bis September rückläufig (kalender- und saisonbereinigt, neuere Daten liegen nicht vor).

Die Wirtschaft in D. zeigt sich also schon längst beeindruckt. Nur sollen das die OZ-Leser nicht erfahren. Die Leser erfahren auch nichts über das Missverhältnis zwischen Exportüberschuss der deutschen Wirtschaft und den Importüberschüssen anderer europäischer Länder und natürlich auch nicht, warum das so ist und welche Folgen das für die Steuerzahler hat und haben wird.

Von den guten Geschäften (was immer das sein mag) sind ganze Branchen in M-V weit entfernt. Damit straft der Text den Schlagzeilenschmied und Anfangstexter Lügen:
Der Schiffbau steckt noch immer in der seit mehr als drei Jahren andauernden Krise fest. „Hier haben wir eine Sondersituation“, meinte Haas. Die Banken hätten sich komplett aus der Neubaufinanzierung abgemeldet. Aber auch für neue Offshore-Projekte wie Windparks fehlen die Kredite. ...
Auch die Händler im Nordosten merken wenig vom Aufschwung. ... Nach bisherigen Berechnungen gingen die Umsätze im dritten Quartal leicht zurück. Im verregneten Sommer fiel das Geschäft buchstäblich ins Wasser, zusätzlich machen der Branche Bevölkerungsschwund und die älter werdende Gesellschaft zu schaffen. ...
Bevölkerungsschwund? Es ist die seit 21 Jahren anhaltende Abwanderung und deren Folgen, die von der OZ weitgehend ignoriert werden.

Schließlich dieses nebulöse Geschwafel:
Der allgemeine Boom könnte bald wieder vorbei sein. Viele Experten erwarten eine Abkühlung noch in diesem Winter.
Das macht aber nichts; es musste schöngeschrieben werden.

Von meinen drei Fragen ganz oben wurde keine befriedigend beantwortet. Wozu auch, hätte ja recherchiert werden müssen, und eine Schönschrift wäre nicht möglich gewesen.

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