23. Oktober 2011

Über Gesinnungsschnüffelei

Wer gern 08/15-Texte in Massen lesen möchte, kann die OZ abonnieren. Wer auf interessanten Hintergrund aus ist, kann kostenlos im bösenbösen Internet nachlesen, heute über Gesinnungsschnüffelei. Niemand sollte mir übelnehmen, dass ich während des Lesens an die Stasi denken musste:
Bitte recht freundlich
Kameras vor dem Haus, angezapfte Handys und immer wieder diese Stimme im Hinterkopf – ein Bericht aus dem Alltag einer Observierten

Ich weiß, wie es sich anfühlt, vor der eigenen Haustür zu stehen und eine Kamera im Rücken zu haben. Ich wusste nie genau, wo sie war, aber ich habe inzwischen die Protokolle der Aufzeichnungen gelesen. „Mann mit Kleinkind und leeren Getränkekisten verlässt das Haus.“ Eine halbe Stunde später: „Mann mit Kleinkind betritt das Haus“, steht da zum Beispiel über meinen Freund und unsere Tochter. Ich habe auch die Kommentare zu meinen eigenen Telefonaten gelesen, die die Beamten mitgehört haben. Lange habe ich die Lektüre allerdings nicht ausgehalten. Mir wurde davon übel.

Ende Juli 2007 wurde Andrej Holm, mein Freund, morgens um sieben in unserer Wohnung festgenommen. Der Vorwurf lautete, er sei ein Terrorist, Kopf und Texteschreiber der „militanten gruppe (mg)“, der Brandanschläge auf Autos und Gebäude zur Last gelegt werden. Andrej wurde im Hubschrauber nach Karlsruhe zum Bundesgerichtshof (BGH) geflogen, der Richter unterschrieb einen Haftbefehl und Andrej verschwand in Untersuchungshaft in Berlin-Moabit. Nach drei Wochen wurden dem Ermittlungsrichter die kritischen Medienberichte und Briefe zu viel und er verschonte Andrej von der Haft; zwei Monate später hob der BGH den Haftbefehl auf und erklärte, dass der nie hätte unterzeichnet werden dürfen. 2010 wurde das Verfahren eingestellt. Eines aber wirkt bis heute nach: Die Erfahrung, wie es ist, als Angehörige eines Terrorverdächtigen überwacht zu werden.

Wie wir inzwischen aus den Ermittlungsakten wissen, hat die Überwachung schon ein Jahr vor der Festnahme begonnen:  ...
Passrecht dazu:
Gesinnungs-Datenbank: BKA speichert Tausende von Linken
... Die Linksfraktion im deutschen Bundestag erkundigt sich regelmäßig bei der Bundesregierung nach dem Umfang, der beim BKA geführten Datenregister und der Anzahl der dort gespeicherten Personen. Hierbei geht es vor allem um Daten von Personen, die von der Behörde als linke Straf- oder Gewalttäter eingestuft werden.
Die Antwort der Bundesregierung auf die jüngste Anfrage der Linksfraktion wirft nun einige Fragen auf. Anscheinend speichert das BKA die Daten Tausender von Linken, die mit dem Gesetz gar nicht in Konflikt geraten sind. ...
Die Linksfraktion hatte sich unter anderem danach erkundigt, wie viele der Personen in den Gewalttäterdaten der Behörden tatsächlich als potenziell gewaltbereite Störer eingestuft wurden. Die Antwort der Bundesregierung ist frappierend: Lediglich 86 Personen aus der Datei „Gewalttäter Links“ erfüllen nach Behördenmeinung nämlich dieses entscheidende Merkmal. Innerhalb der anderen Dateien wird diese Einstufung nicht einmal erhoben.
Im Ergebnis speichert das BKA präventiv also 11.637 Datensätze über Personen mit linker Gesinnung, von denen weniger als ein Prozent als „potenziell gewaltbereite Störer“ gelten.
Es stellt sich die Frage, aus welchem Grund und mit welcher Motivation das BKA eine Datenbank über Personen mit linker Einstellung pflegt, wenn von 99 Prozent der Erfassten gar keine konkrete Gefahr ausgeht. Es drängt sich der Verdacht auf, dass hier eine reine Gesinnungs-Datei entstanden ist.
Die Daten stehen nicht nur dem BKA, dem Zollkriminalamt und der Bundespolizei, sondern darüber hinaus auch jeder Landespolizei in Deutschland zur Verfügung. Diese Speicherpraxis kann für die Betroffenen unter Umständen unangenehme Folgen haben, wenn man an verstärkte Kontrollen oder Maßnahmen wie Unterbindungsgewahrsam denkt.
Da Betroffene über einen entsprechenden Eintrag nicht einmal informiert werden, besteht für sie keine Möglichkeit, eine gerichtliche Überprüfung vornehmen zu lassen.

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