20. August 2011

Notorik in der Schönschreibproduktion

Gestern wurde wie üblich schöngeschrieben. Mit der Schlagzeile ging es schon los:
Mini-Babyboom in Deutschland
Aus einem leichten Anstieg innerhalb eines Jahres macht die OZ einen Mini-Babyboom. Ich erinnere erneut daran, wie Familien-Leyen einst Medien wie der OZ bildlich die Taschen vollhauen ließ, auf dass die OZ den Lesern die Taschen mit einem Märchen füllte. Der Unterschied war nur, dass die OZ das Märchen kostenlos hätte haben können, die Leser aber das Märchen mit dem Kauf der OZ bezahlten. Auch hier wurde ein Text zu einem Märchen umstrukturiert.
Die Geburtenrate ist auf dem höchsten Stand seit 1990.
Ja, ganz einfach, weil 1990/91 im Osten nur noch wenige Kindern geboren wurden und sich danach die Gebrutenrate an die des Westens annäherte.
Wenn die OZ ein paar Minuten aufgewendet hätte, wäre ihr nicht entgangen, dass die Geburtenziffer seit Jahrzehnten schwankt, ein leichter Anstieg innerhalb eines Jahres also nichts besagt. Doch dann hätte die Redaktion auf die Schönschrift verzichten müssen.

Dabei hatte die OZ im Jahr 2010 sogar gemeldet, dass die Zahl der Geburten im Jahr 2009 ein Rekordtief erreicht hätte. Nun also von einem Rekordtief zu einem Mini-Boom. Wer nur ein wenig nachdenkt, merkt, dass das nicht der Erwähnung wert ist.
Die Frauen in Deutschland bringen wieder mehr Kinder zur Welt. Wie das Statistische Bundesamt in Wiesbaden mitteilte, betrug die durchschnittliche Kinderzahl je Frau im vergangenen Jahr 1,39. Insgesamt kamen 2010 rund 678 000 Kinder zur Welt — etwa 13 000 mehr als im Jahr zuvor. Dabei gab es rund 300 000 Frauen im gebärfähigen Alter weniger als früher.
Hier vermischte die Redaktion die Geburtenziffer mit der Anzahl der Geburten, ein Zeugnis der Ahnungslosigkeit. Während die Zahl der Geburten eine absolute Größe ist, wird die Geburtenziffer so definiert:

Die Geburtenziffer gibt an, wie viele Kinder eine Frau im Laufe ihres Lebens bekommen würde, wenn ihr Geburtenverhalten so wäre wie das aller Frauen zwischen 15 und 49 Jahren im jeweils betrachteten Jahr. Wie viele Kinder ein Frauenjahrgang, auch bezeichnet als Angehörige einer Kohorte, tatsächlich im Durchschnitt geboren hat, kann erst festgestellt werden, wenn die Frauen am Ende des gebärfähigen Alters sind, das zurzeit mit 49 Jahren definiert wird. Zur endgültigen Kinderzahl der Frauen, die jetzt 20 oder 30 Jahre alt sind, können somit heute nur Schätzungen abgegeben werden.
Im Gegensatz zur Boom-Hochstimmung in der OZ-Schönschreibstube wird hier festgestellt:
In Westdeutschland veränderte sich die Geburtenziffer in den vergangenen dreißig Jahren nur leicht. In diesem Zeitraum wurden die höchsten Werte 1975, 1976 und 1990 mit jeweils 1,45 sowie 1980, 1981 und 1997 mit 1,44 erreicht.

Auch dies sei noch hinzugefügt, was die OZ-Euphorie hätte zügeln können:
Die Reproduktion einer Bevölkerung ist gewährleistet, wenn die Geburtenziffer dauerhaft bei dem Wert von "2,1" liegt, wenn also jede Frau im Laufe ihres Lebens durchschnittlich 2,1 Kinder zur Welt bringt. 

Doch dann wäre eine Schönschrift unmöglich gewesen.

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