5. Oktober 2010

Ein Satz machts

Es ist der Modernisiererin hoch anzurechnen, dass sie das Thema Armut im Alter aufgriff, weil das viel zu selten getan wird. Einige Anmerkungen sind dennoch nötig:
Greifswalder werden immer älter und immer ärmer
Dazu fragte mich ein Leser:
Kennen Sie irgendjemand, der nicht „immer älter“ wird? 
Nach sehr kurzer Überlegung antworte ich auf diesem Weg: Nein, mir fiel niemand ein. Aber nicht nur, dass mir niemand einfiel der nicht ständig älter wird, für den Zeit nicht gilt; ich kenne auch niemanden, der immer jünger wird.
Die Schlagzeile ist Nachplapperei, denn im Text steht dieses Zitat:
„Greifswald wird immer älter. ..."
Jaja, selbst in der Universitätsstadt Greifswald hat niemand eine Zeitmaschine, mit der Greifswald bei Bedarf verjüngt werden könnte.
... 2009 gab das Sozialamt 2,1 Millionen Euro für die Grundsicherung im Alter aus. Genau genommen werden nicht die Bürger ärmer, sondern die Stadt, denn sie gewährleistet für alle Menschen das Existenzminimum ...
Das ist genau genommen Blödsinn, vor allem ein entlarvender Denkfehler. Denn wer ist "die Stadt"? Vor allem sind es die Bürger. Zu denen gehören Junge und Alte und alle dazwischen. Wer also, wie es die Modernisiererin indirekt tat, Menschen ausgrenzt, die Leistungen empfangen, vergeht sich nicht nur an der Lebensleitung jener, die auf  Hilfe angewiesen sind, sondern disqualifiziert Arme als überflüssige Last, die nicht zur Stadt gehören. Und so etwas in einer modernisierten Lokalzeitung! Ich weiß nicht, ob unter den armen Rentnern solche sind, die immer noch die OZ lesen. Der genau genommene Satz wäre ein Grund, das Abo zu kündigen.
Möglich auch, dass sich die Stadtverwaltung als die Stadt fühlt, was fatal für deren Bürger wäre. Die Stadtverwaltung wäre nichts ohne alle Bürger. Die Verwaltung und deren Verwalter leben zudem vom Steueraufkommen, zu dem selbst jeder Arme beiträgt, indem er Mehrwertsteuern auf fast alles Gekaufte bezahlt, also einen Teil der Hilfe dem Saat zurückzahlt.

Aus dem einen genau genommenen Satz spricht bildlich so elendig viel Arroganz, die der gesamte Artikel nicht wiedergutmachen kann.
In Zukunft werde es immer mehr Menschen geben, deren selbst erwirtschaftete Rentenbeiträge nicht ausreichen.
Darauf weist auch der ständig steigende Anteil an sogenannten Aufstockern hin. Das sind Erwerbstätige, die in ihrem Job so wenig Geld verdienen, dass das Gehalt mit Leistungen vom Amt aufgestockt werden muss. Derzeit verbergen sich unter den 4419 Bedarfsgemeinschaften (Stand 2009) in der Hansestadt etwa 27 Prozent Aufstocker. ...
Greifswald ist ja keine Einzelfall. Deshalb ist der Hinweis nötig, dass ein Kommentator aus diesen Zuständen ein Job-Wunder ableitete. Wer so etwas auch noch an die Leser verkaufen lässt, sollte in eine PR-Agentur weitergereicht werden.

Leider ist auch die Modernisiererin nicht in der Lage, Hintergrund zu liefern, der vor allem darin bestehen müsste, Gründe für die Veränderungen zu liefern. Es kann doch nicht sein, dass das Gejammer von Stadtangestellten über die zunehmenden Ausgaben für Hilfsbedürftige alles ist, was die Lokalredaktion zu bieten hat.
Von der hintergrundfreien Darstellung dieser Verhältnisse bis zu dem Augenblick, in dem die ersten Hilfebedürftigen aus der Stadt gejagt werden, weil sie hilfebedürftig sind, ist kein großer Schritt mehr. Die OZ könnte sich dann zuschreiben, ihr Scherflein dazu beigetragen zu haben. Gerade erinnere ich mich an den Volksverblöder Sarrazin.

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