27. Juni 2009

Betrachtung betrachtet

Der Greifswalder Lokalchef schrieb eine Betrachtung:
Lubmin hat gewählt
Schauan, wer hätte das gedacht? Aufregende Schlagzeile!
Eigentlich sollten die Lubminer doch stolz sein: Sie haben letzten Sonntag etwas geschafft, was hierzulande immer seltener wird, eine Wahlbeteiligung von fast 73 Prozent. ...
Eigentlich ist ein Unwort. Aber verraten Sie es nicht dem Lokalchef, er mag es so sehr.
Liebe Lubminer, nun habt ihr den Salat, müsst euch vom Lokalchef sagen lassen, dass ihr stolz sein solltet. Ich weiß nicht, worauf der Mann sich etwas einbildet, Lubminern solch einen Ratschlag zu geben.
Schaut man aber dieser Tage auf den Ort, ist unübersehbar, dass die Wahl auch ihre Spuren hinterlassen hat.
Ich widerspreche: Nicht die Wahl hat Spuren hinterlassen, sondern der Kampf um das Kohlekraftwerk, völlig unabhängig vom Wahlausgang.
In Lubmin schlägt sich diese Stimmung aber bis aufs Alltagsleben durch. Da wird sich nicht mehr gegrüßt, berichten Einheimische, werden Gaststätten gemieden, weil deren Besitzer sich öffentlich für den anderen Kandidaten positioniert haben. Selbst in Sportgruppen wollen die einen nicht mehr mit den anderen trainieren, wie jüngst ein Leser mitteilte.
Wie viele Lubminer grüßen noch einander (Nicht sich, stehen die alle vor dem Spiegel? )? Wie viele Lubminer kommen miteinander gut aus oder sogar besser als vor der Streiterei um das Kohlekraftwerk? Das ist dem Lokalchef nicht der Betrachtung wert.
(Der Mann hat mir einst erklärt, eine Betrachtung sei deshalb eine, weil eine Gegenstand oder ein Geschehen von verschiedenen Seiten betrachtet wird. Zählen Sie einfach mal die Zahl der Seiten.)
Übrigens würde auch ich eine Gaststätte nicht mehr besuchen, wenn ich mich dort nicht wohlfühlte, egal, aus welchem Grund.
Der neue Bürgermeister unterstützt das Vorhaben, will wieder ein Partner der Energiewerke Nord sein, zu denen der Unterlegene, Gallionsfigur im Kraftwerkswiderstand, alle Verbindungen abgebrochen hatte. Dies spaltet den Ort.
Das heißt was? Vielleicht heißt es, die beiden Personen spalten oder nur eine von beiden spaltet den Ort (komisches Deutsch: einen Ort spalten). Das ist nicht erkennbar, bleibt rätselhaft. Da ich aber OZ-Leser bin, ahne ich, dass der ehemalige Bürgermeister der Spalter sein soll.

Ich kenne zwar eine Gallone, aber ich kenne keine Gallionsfigur, wohl aber eine Galionsfigur
zugkräftige, werbende Gestalt, Person an der Spitze einer Partei, Organisation, eines Verbands o. Ä.
Ob der bisherige Bürgermeister eine zugkräftige Gestalt war, weiß ich nicht. Richtig ist, dass er sich sehr gegen den Kraftwerksbau einsetzte, es aus vielen guten Gründen tat (was sich während der von der Greifswalder Zeitung gründlich gemiedenen Anhörung zeigte) und eben und vor allem weil er Bürgermeister war. Ihn als Galionsfigur des Widerstandes gegen die Giftschleuder darzustellen, ist übertrieben.
Wobei zu bemerken ist, dass die Gemeinde überhaupt keinen Einfluss mehr darauf hat, ob der dänische Investor Dong Energy am Bodden bauen darf oder nicht. Das obliegt allein den Genehmigungsbehörden. Fragt man sich also, wozu denn der Stress im Alltag?
Wer ist man, der sich etwas fragt? Ist das Redaktionsleiter Amler? Dann sollte er sich endlich auf die Socken nach Lubmin machen und sich erkundigen, ob und wenn ja, wozu der Stress taugt.

Sicher hat die Gemeinde keinen Einfluss mehr, hatte ihn aber, wurde aber elendig ausgetrickst.
Doch darauf kommt es gar nicht an, denn es geht um die Zukunft des Ortes und darum, ob und wie die Gemeinde ihre Möglichkeiten nutzt, weitere dreckige Industrie zu verhindern, denn klar ist wohl, dass die Kraftwerke erst der Anfang sind: Denn wenn viel billige Energie vorhanden ist, sind schnell z.B. Chemieunternehmen bei der Hand, den Standort weiter zu verdrecken. Wer das nicht erkennt, ist im übertragenen Sinn kurzsichtig oder will es sein, beides für einen Journalisten untragbar.

Dass es allein den Genehmigungsbehörden obliegt, die Giftschleuder zu genehmigen, ist ein Märchen, eines von vielen, das in der OZ stand, immer wieder nachgebetet, doch von der Wirklichkeit längst als Märchen enttarnt. Selbst wenn der Lokalchef und die anderen Märchenerzähler Recht hätten und "die Behörden" das Werk genehmigten, erinnere ich an Asse (die Leute, die dort wohnen, kriegen ihre Häuser nicht einmal verschenkt) - das wurde auch genehmigt, um es zu missbrauchen, wahrscheinlich mit genau dem selben Druck aus politischen Kreisen wie jetzt in MV. Selbst die Kanzlerin war sich nicht zu schade, um CDU-Mitgliedern mit einer Lüge den Weg zur Giftschleuder zu weisen.

Das alles interessierte den Betrachter Amler nicht, als er von alleinigen Obliegenheiten schwadronierte, im Chor mit Unternehmern, einem Minister (aus dessen Haus die 23 Seiten Text für die Dong-Unterlagen zugearbeitet wurden, ein beispielloser Vorgang, Bananenrepublik) und selbsternanten Ratgebern.

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