19. November 2007

Nicht nebenbei: Journalismus und Aufschreiberei

Jörg Köpke versuchte, vom Landesparteitag der CDU in Binz zu berichten. Das misslang gründlich. Hier der Textbeginn:
"Liebe Angela" - mit dieser freundschaftlichen, fast väterlichen Anrede begrüßte der frühere Ministerpräsident von MV, Alfred Gomolka, Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) auf dem Landesparteitag der Union in Binz. Kein Wunder: Wann immer Merkel im Nordosten verweilt, hat sie ein Heimspiel. In MV begann ihr steiler politischer Aufstieg. Zu Merkels Wahlkreis zählt nach wie vor die Insel Rügen.
Geschenkt, dieser Abschnitt!
... Merkel musste reden. Und sie redete Klartext. Mit aller Macht stellte sich die Kanzlerin hinter die Zwei-Milliarden-Euro-Investition des dänischen Stromerzeugers Dong Energy. ...
Nein, das ist nur die halbe Wahrheit, denn mit einer faustdicken Lüge stellte sie sich hinter oder auch vor den Konzern. Sinngemäß sagte sei, das geplante Kohlekraftwerk bei Lubmin werde die Umwelt nicht verschmutzen. Nicht einmal Konzernvertreter hatten gewagt, das zu behaupten. Das ist Herrn Köpke nicht aufgefallen, sonst hätte er alles daran gesetzt, herauszufinden, wie die Kanzlerin das gemeint hatte. Mir ist es aufgefallen und deshalb habe ich Kanzlerin gefragt (siehe offenen Brief).

Köpke dagegen fragte niemanden, sodass ich vermuten muss, er war gar nicht in Binz, wenn doch, was hatte er dort verloren?
Er fragte auch nicht, warum die Kanzlerin die Kraftwerksgegner verunglimpfte, als sie sagte:
Durch das Lubminer Kraftwerk werde kein schmutziges Wasser in die Ostsee kommen. Es würden keine Kohle-Stücke die Strände verschmutzen.
Das sollen die Argumente der Gegner sein? Für mich ist das primitives Kanzlerin-Gewäsch.

Hier Auszüge aus einem Artikel der Nürnberger Nachrichten, in dem die Zeitung berichtet:

Nürnberg und Fürth beziehen ab 2008 nur noch Öko-Strom

Die Städte Nürnberg und Fürth steigen ab dem 1. Januar 2008 vollständig auf Öko-Strom um. ... In Fürth stehen die entsprechenden Verhandlungen zwischen dem Versorger Infra und der Stadt kurz vor dem Abschluss, wie der stellvertretende Geschäftsführer Manfred Zischler gegenüber NN-Online bestätigte.

Ab 1. Januar wird die Stadt (Fürth) als Infra-Kunde nur noch zertifizierten Ökostrom aus Wasserkraft beziehen. Die Energie kann nicht allein aus eigenen Fürther Wasserkraftwerken gedeckt werden. Aber, so Zischler, "man kann Strom aus Wasserkraft auch aus Österreich oder Skandinavien zukaufen". ...
Die Umstellung auf Öko-Strom bezeichnet (Nürnbergs) OB Maly auch als «einen Beitrag dazu, den Aufbau Ressourcen schonender Energiegewinnung zu unterstützen». Derzeit verbrauchen die Stadt und ihre Betriebe rund 130 Gigawattstunden Strom pro Jahr. Ab nächstem Jahr wird diese Strommenge nun zu 100 Prozent aus Öko-Strom gedeckt, bei dessen Produktion kein schädliches CO2 entsteht, da dieser aus Wasserkraftwerken stammt. .
..

Davon haben die OZ-Leser noch nichts erfahren: Anderswo in Deutschland wird völlig anders und natürlich pfiffiger gehandelt. In den beiden Städten wohnen rund 610000 Menschen, in ganz M-V waren es Mitte 2007 noch 1687000.

Besonders blöd ist das Arbeitsplatzargument, denn auf die weltweit auszuschreibenden Stellen werden sich sicher auch viele Beschäftigte aus der Belegschaft des stillgelegten KKW bewerben.

Einige Redakteure der OZ tragen im übertragenen Sinne Scheuklappen. Diese Klappen verhindern, dass sie ihre Leser über Hintergründe informieren, das einzige, womit die Zeitung Leser gewinnen könnte. Das meine ich mit dem Unterschied zwischen Journalismus und Aufschreiberei.

In der OZ-Wochenendausgabe gab es ein weiteres Beispiel für Aufschreiberei:
Bundestag beschloss höhere Diäten im Eilverfahren
... Als Altersvorsorge werden künftig pro Jahr der Zugehörigkeit zum Bundestag nur noch 2,5 Prozent der Diäten gezahlt. Bislang sind es drei Prozent. ...
Sehr genau! Und wie viel ist das absolut?
Drei Prozent von bisherigen Vergütung sind 210,27 Euro, zweieinhalb Prozent von der Vergütung, die ab 2009 gezahlt werden, sind 191,70 Euro. Diese kleine Rechnung hätte veranschaulicht, wie läppisch gering der Verzicht der MdB ist.

Statt im Kommentar zu maulen:
An dieser Stelle kontern Politiker gern damit, dass sie als Manager viel mehr verdient hätten. Die Sache ist nur: Die Mehrheit der Abgeordneten kommt aus dem öffentlichen Dienst und hat nie eine Karriere in der freien Wirtschaft angestrebt.
hätte Herr Burmeister den Vergleich mit der gewerblichen Wirtschaft ziehen sollen: Die Beschäftigten verdienten auch in den ersten neun Monaten dieses Jahres preisbereinigt weniger als im selben Vorjahreszeitraum.
global news 927 17-11-07: Stagnation der realen Lohn- und Gehaltssumme pro Beschäftigten Januar bis September 2007 in der gewerblichen Wirtschaft

Die Mantelredaktion hätte sich auch ein Beispiel an der NN nehmen können, die ausführlich mit Hilfe von dpa und klar gegliedert berichtete, mit welchen Vergütungen und zusätzlichen Zahlungen sich das Stimmvieh aus dem Bundestag durchs Leben schlagen muss.
Die OZ hätte auch diesen geringen Aufwand betreiben können, den die NN online betrieb:

Kaum Nein-Stimmen
So votierten die Abgeordneten der Region Nürnberg
Die Erhöhung der Diäten ist eines der heikelsten Themen, über das Abgeordnete zu bestimmen haben: Hier erfahren Sie, ob die Parlamentarier aus der Region Nürnberg zugestimmt oder abgelehnt haben.

Das wäre auch für die Abgeordneten aus M-V möglich gewesen, eine Arbeit von etwa 15 Minuten - einfach hier und hier nachlesen, auswählen und aufschreiben. Ich mache jedoch nicht die Arbeit von Redakteuren, die das Doppelte des durchschnittlichen Brutteeinkommens in M-V erhalten.


Nachtrag 19.00 Uhr:

Warum ist es in Sachen Steinkohlekraftwerk auf der Insel Usedom so still?
Das kann daran liegen, dass der Insel-Lokalchef ein für alle Mal berichtete: Alles halb so schlimm.

Dennoch wäre es eine Aufgabe der Lokalredaktion herauszufinden, warum ausgerechnet die Hoteliers und andere Vermieter nicht offen gegen das Projekt auftreten. Schließlich wird nicht die Insel Rügen
(wo sich bekanntlich Widerstand rührte) in der Hauptwindrichtung der Dreckfahne liegen, sondern die Insel Usedom.

"Wird schon alles nicht so schlimm werden", sagen sich die Betroffenen und holen bis dahin noch mal so richtig tief Luft. Oder gibt es andere Gründe?
Greift eine Lokalredaktion das Thema auf? Muss ja nicht die der OZ sein.

Nachtrag 20.11.07:

Hätte ich beinahe vergessen, stand im Nordkurier:

Dong Energy will Anteile am Kohlekraftwerk verkaufen
Steinkohlekraftwerk Dong Energy will bis zu 49 Prozent der Gesellschafteranteile an Dritte veräußern.
... Die Stadtwerke im mittelfränkischen Schwabach wollen sich am Bau des geplanten Steinkohlekraftwerks in Lubmin beteiligen, um damit ab 2012 bis zu 30 Prozent ihrer jährlich benötigten Strommenge selbst zu produzieren. ...
Derweil regt sich in der knapp 40 000-Einwohner-Stadt Schwabach, direkt vor den Toren Nürnbergs gelegen, Widerstand gegen die Pläne ihrer Stadtwerke. So teilte der stellvertretende Kreisvorsitzende des Bundes Naturschutz, Martin Sauer, der gleichzeitig Vorstandsvize der örtlichen SPD ist, der Bürgerinitiative Kein Steinkohlekraftwerk Lubmin e.V. mit, dass er in beiden Funktionen die Beteiligung der Stadtwerke Schwabach an dem Kohlekraftwerk entschieden ablehne. ...

Und was tun der Tourismusverband der Insel Usedom, was die Chefs der Hotelketten?

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