9. September 2007

Kleine Zugabe


Ich bitte um Entschuldigung!
Ich muss noch eine Zugabe liefern, um nicht jenen zu enttäuschen, der mir einen Ausschnitt aus der Usedom-Peene-Zeitung vom Wochenende lieferte.

Steffen Adler, ja genau, der Mann, der die weiße Wolke und andere uninteressante Eigenschaften eines Kohlekraftwerkes beschrieb, dass ich glaubte, er sei Öffentlichkeitsarbeiter des Unternehmens, hat Neues zu verkünden:

Neues Beschäftigungsprojekt bei der BQG angelaufen
700 Langzeitarbeitslose sollen schnell wieder in Beschäftigung kommen. Dafür wollen BQG, Landkreis und Sozialagentur sorgen. Das Landeswirtschaftsministerium fördert das neue Projekt.
Was schätzen Sie, worum es geht?
Ganz einfach: Für die 700 Leute sollen drei "speziell geschulte Mitarbeiter" in jeweils mehreren Gesprächen die "individuelle berufliche Perspektive des Einzelnen" analysieren. Sind die Stärken gefunden, soll gezielt "genau in diese Richtung" nach Arbeitsstellen gesucht werden. Außerdem werden die Bewerbungsunterlagen verbessert und online gestellt.

Aha! So ist das also. Dann ist das neue Beschäftgungsprojekt eines für drei speziell Geschulte, nicht für die 700 Langzeitarbeitslosen, denn die haben nach mehreren Gesprächen und aufgemöbelter Bewerbung noch lange keine Arbeit. Oder sollen die Gespräche die Beschäftigung sein?

Warum fragte der Autor nicht, immerhin Lokalchef in der Redaktion, wozu es seit Inkrafttreten des Hartz 4-Gesetzes Eingliederungsvereinbarungen gibt, die mit jedem Alg 2-Empfänger abzuschließen sind und die genau diese Gespräche beinhalten, um die Stärken der Bewerber zu finden und so gezielt Stellen zu suchen?

Schlimm ist der Schluss des Artikels, in dem der Autor unterstellt, Alg 2-Empfänger könnten Betrüger sein (siehe Ausriss).

Wenn Ein-Euro-Jobs verstetigt werden (Ausriss), ist das sog. Feigenblatt dieser Beschäftigungen endgültig heruntergerissen und diese Tätigkeiten machen aus den Betroffenen Staatssklaven. Sich als Autor darüber und die Folgen Gedanken zu machen und dann auch noch entsprechend nachzufragen, ist wohl zu viel verlangt.
So ersetzt die Lokalredaktion weiterhin den Öffentkeitsarbeiter der Sozialagentur. Ansonsten würde sie einen kritischen Abstand zur Behörde wahren.

Über Ein-Euro-Jobs kann seit deren Bestehen nachgelesen werden. Hier einige Beispiele, die eine Fülle von Themen, vor allem lokalen, bieten:

Wöchentliche Arbeitszeit darf bei Hartz IV-Betroffenen max. 15-20 Stunden betragen
... denn
1. führen sogenannte Ein-Euro-Jobs sehr selten zu einer Arbeit auf dem ersten Arbeitsmarkt.

2. bei einem fast Vollzeit Job haben die Betroffenen kaum Zeit, sich um Arbeitsplätze auf dem ersten Arbeitsmarkt zu bewerben
3. Ein-Euro-Jobs müssen gemeinnützig und zusätzlich sein, und dürfen nicht für Arbeiten benutzt werden, die in anderen Betrieben Arbeitsplätze vernichten (Konkurrenzverbot).
4. Sie dürfen nicht zur Sanktionierung und nicht zur Provokation benutzt werden, dies ist Amts- und Macht-Missbrauch. (siehe Ausriss!)
5. Das Job-Center muss ausdrücklich Gemeinnützigkeit und Zusätzlichkeit feststellen, es genügt nicht, wenn Betroffene in gemeinnützigen oder städtischen Vertragsverhältnissen zum Lohndumping missbraucht werden. ...

Die Gratis-Konkurrenz
... Gravierende Mängel hat der Rechnungshof auch bei der Handhabung der Ein-Euro-Jobs festgestellt. Ein Viertel der Stellen verstoßen gegen die gesetzlichen Anforderungen: Die Arbeitslosen werden für Tätigkeiten eingesetzt, die nicht im öffentlichen Interesse, nicht zusätzlich oder nicht wettbewerbsneutral sind. Bei weiteren 50 Prozent der untersuchten Fälle konnte erst gar nicht geprüft werden, ob die Stellen dem Gesetz entsprechen: Die Vermittler hätten keine verlässlichen Kenntnisse gehabt, was ihre Arbeitslosen in diesen Ein-Euro-Jobs überhaupt tun.
... Auch im Bundessozialgericht in Kassel wird der Boom der »Arbeitsgelegenheiten« im Lande mit größter Sorge verfolgt. Das Arbeitsmarktinstrument Ein-Euro-Job, warnen oberste Sozialrichter, habe sich weitgehend verselbstständigt. Losgelöst von den gesetzlichen Vorschriften, schafften Kommunen, Wohlfahrtsverbände und Jobvermittler unter den Augen der Arbeitsverwaltung eine ganz neue Subkultur von nichtständigen Beschäftigungsverhältnisse. ...

Der flächendeckende Einsatz von Ein-Euro-JobberInnen in öffentlichen Einrichtungen und Vereinen ist zur Normalität geworden. Dabei werden bei diesem Teil der „Reform“ wohl am häufigsten die gesetzlichen Vorgaben missachtet. Inzwischen muss von der Etablierung einer rechtswidrigen Praxis gesprochen werden, die von den Verantwortli-chen in den JobCentern und den Trägereinrichtungen geduldet oder sogar forciert wird. ...

Ein-Euro-Jobs als Zuverdienstmöglichkeit.
Sollen sich die Leute doch zu den raffiniert gekürzten neuen Leistungen für Lebensunterhalt und Wohnung unbürokratisch etwas dazu verdienen! Auch das ist ein Fehlschluss, denn eine Gegenleistung für ihre Arbeit ist nicht vorgesehen. Der eine Euro, der nach Belieben auch mehr oder weniger werden kann, ist „Entschädigung für Mehraufwand“ und nichts sonst. ...
Ein-Euro-Jobs und Gemeinwohl
Viele Menschen akzeptieren diese Beschäftigungen nur, weil sie glauben, hier werde doch etwas geleistet, was der Allgemeinheit zugute kommt, weil sie „gemeinnützig“ ist, wie es früher im BSHG hieß. Demgegenüber wird der Einsatz in der Privatwirtschaft bisher mehrheitlich abgelehnt, obwohl auch sie für die Allgemeinheit Nützliches leisten kann. Aber der Staat und die Wohlfahrtspflege bedienen sich heute zur Erfüllung ihrer Aufgaben nicht nur genauso regulärer Arbeitskräfte wie private Unternehmen, sie werden auch dank unermüdlichen Beratereinsatzes immer mehr geführt wie private Unternehmen und mittels Privatisierung und öffentlicher Auftragsvergabe werden öffentliche Aufgaben bei welchem Träger auch immer im privatrechtlichen Arbeitsverhältnis erbracht, was jedenfalls bei Durchführung der Leistungserbringung keine Unterschiede mehr rechtfertigt. ...

Ein-Euro-Jobs und Beschäftigungsträger
Aber während bei vielen dieser Träger zumindest unter den Mitarbeitern auch im Eigeninteresse noch die Diskussion um die Zusätzlichkeit geführt wird, gibt es eine Trägergruppe, die das mehrheitlich nicht kümmern muss: die gemeinnützigen Beschäftigungsträger, die schon in den vorbereitenden Modellprojekten eine treibende Rolle gespielt haben, zu immer größeren Firmen anwachsen und mit der Bundesarbeitsgemeinschaft Arbeit e.V. ihre Lobby aufgebaut haben. Die wenigen dort Festangestellten leben von den zugewiesenen Arbeitskräften und müssen die Zusätzlichkeit nicht einmal pro forma ausweisen. Anders als bei den Wohlfahrtsverbänden ist da auch die Freiwilligkeit kein Problem, auch für Unwillige gab und gibt es genug abschreckende und einfache Arbeitseinsätze ...
Veröffentlicht in: Forum sozial ( Zeitschrift des DBSH, Deutscher Berufsverband für soziale Arbeit ) 2005, Heft 2, S. 11-13 und Heft 3 S. 13-15, http://www.dbsh.de/Erweitert um einen aktuellen Nachtrag im Februar 2006

So, Leute und ab jetzt bitte keine Zeitungsausschnitte mehr ins Haus! Ich will davon vorerst nicht mehr lesen!

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