27. Februar 2010

Traum-Provokateurin

Ein Leser wies mich auf diese Perle des Lokaljournalismus in der Stralsunder Ausgabe hin (Danke!):
Eine Kogge für die Bundeskanzlerin
500 Gäste aus ihrem Wahlkreis waren gestern der Einladung von Bundeskanzlerin Angela Merkel in die Alte Brauerei gefolgt.
Wenn jetzt Schluss gewesen wäre, wäre alles gut gewesen, hätte der Leser kein Wort verloren, doch er musste z.B. dies lesen:
Da naschte sie doch schon mal vom Büfett, bevor es an die Reden ging: Bundeskanzlerin Angela Merkel ließ sich gestern kurz nach 19 Uhr vom Stralsunder Marzipan verführen. Und als Erinnerung an ihren diesjährigen Neujahrsempfang gab es gleich noch ein Stück aus der Marzipanmanufaktur mit auf den Weg. Nicole Raddatz hatte eine Hansekogge nach einem alten Siegel in die lukullische Köstlichkeit verwandelt. In Handarbeit. „Das steht für Stralsund und passt zu uns“, fand die 25-Jährige. ...

Angela Merkel nannte die „Stärke der Kommunen eine unglaublich wichtige Quelle der gemeinsamen Arbeit“. Und sie erinnerte an viele Höhepunkte des vergangenen Jahres in Stralsund, an die sie gern zurückdenke, ob Hundertwasser-Ausstellung, Enthüllung der Gedenktafel für die Synagoge, Tierparkfest oder Besuch beim Bildungsverein Tribsees. Zur Zukunft der von der Wirtschaftskrise schwer getroffenen Volkswerft sagte sie: „Hier liegt noch eine sehr anstrengende Wegstrecke vor uns.“ (Das Zitat der Zitate!)
Azubi Andreas Montag war ziemlich sprachlos, dass ihn die Bundeskanzlerin so unkompliziert in einen kleinen Plausch am Rande verwickelte — zwischen gefülltem ganzen Schwein, Lachsschaumbällchen , Gratin vom Erdapfel und Passionsfruchteis. „Sie wollte wissen, woher ich komme. Total sympathisch“, sagte der Zarrendorfer. Auf ein Foto mit der Bundeskanzlerin hoffte noch Jens-Michael Pechthold, der Karate-Kinder trainiert. „Vielleicht kommt sie ja mal zu einem Probetraining“, überlegte er und wollte sie auf alle Fälle zu einem großen internationalen Turnier, das nächstes Jahr geplant ist, einladen. Gelegenheit für Gespräche gab es jedenfalls zur Genüge. Und Angela Merkel geizte nicht mit Komplimenten für ihre Gäste: Wenn man so wie sie immer viel unterwegs sei, wüsste sie: „Hier stehst du fest, hier hast du Freunde. Für diese Freundschaft ein großes Dankeschön.“ 
Sehen Sie es mir bitte nach, wenn ich mir die Autorin als Augenzeugin des Empfanges vorstelle, wie sie bäuchlings auf dem Fußboden liegt und versucht, der Kanzlerin einen Schuh auszuziehen - um Merkel den Fuß zu küssen.

Einen passrechten Leserbrief gab es gleich dazu, online:
Na und?
Warum war kein Hartz IV Empfänger dabei? schreibt Hartwig Niemann aus Rostock
Ihn hatte dieser Satz inspiriert:
500 Gäste aus Politik und Wirtschaft — vom Werftchef bis zur Lehrerin, vom Handballtrainer bis zur Anwältin, vom Oberbürgermeister bis zum Ozeaneums-Chef — waren in die Alte Brauerei gekommen.
Nachtrag, 1. März:

Ich bin noch auf diesen Leserbrief hingewiesen worden (Danke!), ebenfalls geschrieben vom Leserbriefschreiber Niemann, der noch mehr verdeutlicht, was für eine unmögliche Leistung(?) die Autorin abgegeben hatte.

Achso, wissen die Greifswalder OZ-Abonnenten inzwischen, wer den Neujahresempfang der CDU in Greifswald bezahlte und wie teuer er war? Das Thema müsste nun endlich auch in der OZ eine Rolle spielen, rein theoretisch natürlich nur, nach den jüngsten Ereignissen:

Bundestagsverwaltung prüft Sponsoring-Affäre um Tillich
... und die um Rüttgers

Auch die OZ berichtete über die Tillich Angelegenheit und schämt sich, ihre Leser dafür bezahlen zu lassen, als handelte es sich um eine Hochwertinformation. (Hochwertig ist für die OZ das, was in der gedruckten OZ steht - auch eine Art, Qualität zu definieren.) Wertlos ist die Information, weil sie im Internet rund 750 Mal zu finden ist, zumeist kostenlos.
Macht die OZ so weiter, Wertloses als Hochwertiges zu verkaufen - und sie macht so weiter - wird sie früher oder später untergehen.

5 Kommentare:

  1. Manfred Peters28.2.10

    Im OZ-Mantelbeitrag ist noch die überraschende Information zu finden, dass die Kanzlerin als
    "Milchpreisbeauftragte" am Milchpreis arbeitet:
    "... Auch die Bauern im Nordosten können auf die Kanzlerin zählen: „Milchpreise von 26 Cent pro Liter sind nicht deckend. Daran arbeiten wir.“ ...
    und die Vertreter aus Wirtschaft, Politik und Vereinen nutzten den Abend, um Merkel ihre Sicht der Dinge nahezubringen!!!
    Schon mal etwas von der Sponsoring Affäre gehört?
    http://nachrichten.t-online.de/sponsoring-offenbar-auch-bei-der-saechsischen-cdu/id_21900056/index

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  2. Morla28.2.10

    OMG, was ist das denn für eine peinliche Nummer? Hofberichterstattung in primitivster Art und Weise ist man ja auch schon aus der SVZ gewohnt, aber dieser diletantische "Anbiederungstext" ist auf seine Weise schon wieder komisch.

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  3. Anonym1.3.10

    Kurzer Leserbrief, aber Alles sagend.

    Diese Menschen gehören nicht mehr dazu. Sie sind nur Ballast.

    Heute abend bei A. Will wieder nur Umfragen eingeblendet, die Hetze gegen diese Menschen beeinhalten.

    Ich habs schon mal erwähnt: Davon bekommen wir noch mehr zu sehen.

    Und dann unsere Sozialministerin:
    Sie ist empört, dass sie, nein, die Landesregierung von M/V nun 35 Mio an den Bund abgeben muss, die sie gerne für ein kostenloses Mittagessen für die Kinder und andere Dinge, wie zum Beispiel für KITAS verteilt hätte.

    M/V hat nach wie vor mit den schlechtesten Personalschlüssel im gesamten Bundesgebiet.

    Und, warum hat sie es bisher, als sie diese 35 Mio noch hatte, nicht getan?

    Das soll mich nun von Hocker reissen, was Frau Schweswig dort äußerte?!

    Das glaube ich ihr nicht.

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  4. Anonym1.3.10

    Eine Hofberichterstattung, bei der mir übel wird. Rosige Berichte gab`s zu DDR-Zeiten genug, da wurde getüncht und der Erfolg herbei geschrieben.

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  5. Tja, gelernt ist gelernt.

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