2. Februar 2010

Märchenstunde

Eine klassische Doublette leistete sich die OZ heute mit der Merkel-Geschichte, einmal etwas gekürzt auf der Wirtschaftsseite und auf der Greifswalder Lokalseite. So werden Spalten gefüllt und Ihnen verkauft.
Doch das ist nichts gegen den Blödsinn, der zum selben Merkelbesuch auf der Titelseite verbreitet wurde. Schließlich wurde Ihnen auch noch ein Märchen als Tatsache verkauft. Und so kommt Aufschreiberei zustande, wie eh und je, journalismusfrei.

Die Schlagzeile auf der Titelseite:
Greifswald: Merkel setzt auf Kernfusion
Klar, das Weltklima retten wollte sie auch.
Das ist Leserverblödung, denn Merkel setzt auf Atomenergie (Verlängerung der Laufzeiten) und Energie aus der Verbrennung von Kohle. Das hatte sie u.a. 2007 auf Rügen bewiesen, als sie den CDU-Mitgliedern auf der Insel einredete, die Giftschleuder am Bodden sei total wichtig und würde überhaupt nicht giftig sein. Nun, da die Giftschleuder wohl nicht gebaut wird, wird Deutschland mangels Energie zugrunde gehen müssen. Ich werde sicherheitshalber einen Dynamo auf dem Klo installieren.

Den gesamten ersten Absatz über versuchte der Redaktionsbenjamin den Eindruck zu erwecken, der Chef des Wendelstein-Projektes sei ein Hosenschisser, der wegen des Zusammentreffens mit der Kanzlerin aufgeregt sei, als sei der Chef ein Kindergartenkind:
Professor Thomas Klinger gibt sich gelassen. „Nein, ich bin nicht aufgeregt.“ Er habe schon vor 1500 Leuten gesprochen. In wenigen Minuten soll Klinger es vor der Bundeskanzlerin tun. So ganz will man dem wissenschaftlichen Leiter seine Coolness jedoch nicht glauben — schließlich gibt er zu: Aber Frau Merkel, das zählt ungefähr genauso viel wie vor 10 000 Menschen.“ Als sie da ist, mimt Klinger bravurös den wortgewandt-witzigen Physiker, nur die leichte Unruhe in seinen Beinen verrät ihn eben doch. ...
Der Redaktionsbenjamin in Greifswald schrieb dies ans Artikelende:
Randnotiz: Für Zähneknirschen in der Landesregierung sorgte die Begleitung der Kanzlerin. Sie bestand ... ausschließlich aus CDU-Ministern. Landesvater Erwin Sellering (SPD) sei nach Angaben der Staatskanzlei nicht eingeladen worden. Regierungssprecher Andreas Timm: „Wir haben von diesem Termin nur aus den Medien erfahren.“ Sellering wollte den Vorgang auf OZ-Anfrage nicht weiter kommentieren.
So einen Käse fragt die OZ nach - einfach lächerlich. Die wichtigen Dinge im Lande bleiben dagegen unbefragt.
Das Zähneknirschen ist eine Erfindung des Autors, andererseits eine Unterstellung. Soll diese Spinnerei kritischer Hochwertjournalismus sein?

Die OZ vergaß natürlich ganz, dies zu erwähnen:

Radioaktiver Abfall entsteht auch bei der Kernfusion durch Neutronenstrahlung, jedoch sind die Halbwertszeiten niedriger als bei der Kernspaltung.
Wie weit weg die Nutzung der Kernfusion noch ist, können Sie übrigens ermessen, wenn Sie hier das Technische zum Wendelstein-Experiment nachlesen. Noch ist es reine Grundlagenforschung. Merkel, die darauf laut OZ-Schlagzeilenschmied setzt, ist längst tot, falls tatsächlich die Kernfusion als Energiequelle Standard werden sollte.

Merkel war auch Gast während des Neujahrsempfanges des Provinz-CDU in der sanierten Greifswalder Stadthalle. Das einzige, was mich daran interessiert hätte, wäre ich Greifswalder? Jedenfalls nicht das Bonzengequatsche, das die Greifswalder Zeitung wiedergab und wer der Merkel vorturnte. Mich hätte interessiert, wie hoch die Saalmiete für die Veranstaltung war und wie die CDU sie aufbrachte. Kein Wort darüber in der OZ.

Stattdessen:
Drei Erinnerungen für Angela: Bildband, Seife, Kerzen 
Unter anderem mit diesem journalistischen Kleinod Kniefall vor der Kanzlerin:
In Merkels Ansprache ging es dann um die große Bundespolitik und die christdemokratischen Werte bei der sozialen Marktwirtschaft: Leistung muss sich lohnen, jedes Mitglied des Gesellschaft darf nicht nur fordern, sondern hat auch eine Bringepflicht. Merkels Vorzug: Sie spricht frei und kann Politikerdeutsch so erklären, dass es auch Otto Normalverbraucher versteht. 
Häh? Das ist reiner Kommentar der Autorin. Ich kenne die Kanzlerin als Um-den-heißen-Brei-Herumrednerin, als Verschweigerin und als Lügnerin.
Davon schwärmte Jörg Hochheim, Leiter des Amtes für Wirtschaft und Finanzen: „Ich bewundere jeden, der ohne einen Blick aufs Papier so losreden kann.“
Das ist ja wenigstens ein wenig interessant: Wer am besten schwätzen kann, wird von dem Mann bewundert. Dass die Kanzlerin überall dieselben Phrasen drischt, also trainiert ist, scheint dem Mann entgangen zu sein. Das bewundert er?
Auch Bürgerschaftsmitglied Mechthild Thonack war begeistert: „Sie kann richtig gut die Zusammenhänge erklären. Hängt wahrscheinlich mit ihrem Beruf als Physikerin zusammen“, sagte sie. Rundum glücklich sah auch Bürgerschaftsmitglied Jürgen Liedtke aus, der gestern seinen 55. Geburtstag feierte.
Genau, das wollte ich schon immer wissen.

6 Kommentare:

  1. Manfred Peters2.2.10

    Hätte der OZ-Redakteur doch einmal in sein Archiv geschaut z. B.:
    http://www.ostsee-zeitung.de/ozdigital/archiv.phtml?param=news&id=1437897
    (Achtung nur für Redakteure und Abonnenten zugänglich)!
    Hr. Amler schrieb 2000: "Bekanntlich beginnt das Fusionsexperiment erst im Jahr 2006."
    Damit war man schon mit einem Jahr in Verzug. Jetzt wird von 2015 gesprochen. Anlagen-Investitionen von ca. 300 Mio. € (alte Kostenangabe), denn alles andere als der Stellrator war ja rechtzeitig fertig, müssen seitdem mit hohem Aufwand gewartet werden. Eigentlich ein Skandal an Geldverschwendung, aber wenn ich dazu einen OZ-LB schreiben würde ... ???

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  2. "aber wenn ich dazu einen OZ-LB schreiben würde ... ???"
    Was wäre dann?
    Wird er nicht gedruckt, übernehme ich ihn.

    Ein Skandal ist aber auch, wie die OZ mit dem Thema und mit anderen umgeht.

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  3. informant3.2.10

    Auch wenn ich nicht unbedingt die politische Meinung der Kanzlerin teile, finde ich doch eine ihrer Schlüsselaussagen wichtig:
    Es wäre unglaublich blöd, sich den Weg zur Kernfusion zu versperren und ihn gar nicht erst zu gehen zu versuchen, vor allem vor dem Hintergrund steigender Energienachfrage und schwindender Rohstoffe und der Hoffnung, die die Kernfusion mit sich bringt.
    Das sind mir zumindest meine 5€ anteilige Erstinvestitionskosten (380M€ insgesamt, übrigens) wert.
    Worin siehst Du (ihr) genau die Geldverschwendung?
    "Alles andere als der Stellarator" sind übrigens 2 Experimente zur Grundlagenforschung Plasmaphysik und mehrere Arbeitsgruppen zur Stellaratortheorie, die nicht nur doof rumsitzen und "gewartet" werden müssen sondern wertvolle Beiträge zur Fusions- und Plasmaphysik leisten.
    Die zeitlichen Verzögerungen kommen größtenteils durch ein Versagen der zuliefernden Industrie zustande, am IPP wird schließlich ohne Übertreibung die komplizierteste Maschine der Welt zusammenstöpselt.

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  4. @ informant
    Natürlich ist es richtig, nicht den Weg zu verbauen. Doch darum ging es nicht, sondern darum, wie die OZ darüber berichtete (Darum geht es mir immer zuallererst.): völlig benebelt vom Merkel-Besuch, nachschwätzend, Hintergrund weitestgehend vermeidend, nicht auf ihre frühere Lüge hinweisend, nicht darauf verweisend, dass sie Kohle und Atomstrom bevorzugt. Lobhudelei auf Gesagtes zu schreiben - soll das Journalismus sein?

    Noch dies: Das Experiment wird später stattfinden, weil Zulieferer nicht rechtzeitig liefern. Das ist doch Geldverschwendung - wo ist die kritische Berichterstattung der OZ darüber? Antwort: Es gibt keine.
    Das ist mein Thema.

    Grundlagenforschung ist eine feine Sache und es ist wunderbar, dass wir sie uns leisten können. Wie viel mehr wäre möglich, wenn nicht Unsummen verschwendet würden, z.B. für den Krieg in Afghanistan?! Daran ist die Kanzlerin ja wohl beteiligt.

    Übrigens bleibe ich dabei: An ihren Taten sollt ihr sie messen, auch die Kanzlerin.

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  5. Manfred Peters3.2.10

    @ Informant
    Die planerischen Fehlleistungen und deren auch internationalen Konsequenzen, die die Väter des Wendelstein 7-X zu verantworten haben, sprengen wohl dieses Kommentarforum. Ich weiß, dass ein Zulieferer zwischenzeitlich Solvenzprobleme hatte. Wenn man ein solches Projekt angeht muss man aber auch einen Plan B haben. Ein normales Wirtschaftsunternehmen wäre unter diesem Führungsstiel schon lange Pleite, es sei denn es ist "Systemisch"( O-Ton Merkel).
    Darum nur 2 Beispiele über die mehr als 10 Jahre ungenutzten aber imposanten Nebenanlagen:
    1. Zur Sicherung der Stromversorgung im Versuchsfall wurde bis 2005 eine separate 110 KV Hochspannungsversorgung, die die gleiche Kapazität wie für die gesamte Stadt Greifswald hat, errichtet.
    2. Das Kühlwassersystem für den Versuchsfall Wendelstein 7-X ist mit Pumpem ausgerüstet, mit denen man ein Pumpspeicherkraftwerk errichten könnte.
    Diese Anlagen müssen mit nicht unbeträchtlichem Aufwand gewartet werden. Es stellt sich u.a. die Frage, ob die Kühlwasserpumpen nach 10 Jahren überhaupt noch die notwendigen Sicherheitsparameter aufweisen. Wenn nicht, müssten wohl neue beschafft werden.
    Das "Nebenforschung" betrieben wird ist wohl bekannt, könnte aber nur als Feigenblatt betrachtet werden.
    Anm.: Man muß nicht Technikfeind sein, um auch einmal etwas zu hinterfragen. Ich bin der vorletzte, der gegen Zukunftsforschung polemisiert!

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  6. informant4.2.10

    @lupe
    Bzgl. der Berichterstattung stimme ich voll mit Dir überein. Übrigens meinte Merkel in kleinerer Runde, es sei ihr völlig klar, dass Kohle und Uran nicht der Hammer seien und auch versprechen wie CCS eher Luftschlösser sind und sie tausend mal lieber auf Fusion als eine weitere Brückenlösung setzt. Ich denke, es ist allen klar, dass wir Energie- und Umwelttechnisch in einer ziemlichen Misere stecken, nur: ob auf ihre Worte auch taten folgen, steht in den Sternen.

    Ich denke, unser Problem liegt in der Definition der Verschwendung: Darunter verstehe ich vermeidbare Ausgaben trotz absehbarer Risiken - beides trifft im Falle von W7X nicht zu. Es ist ja auch nicht so, dass wir (da oute ich mich) hier rumsitzen und nichts tun, während wir auf irgendwelche Bauteile warten. Statt dessen werden Projekte vorgezogen, die Teilweise erst nach Inbetriebnahme angesetzt waren - 2015 ist die Maschine trotz Betrieb noch lange nicht fertig gebaut.

    @Manfred Peters:
    1. Die HV-Versorgung ist in Betrieb und versorgt das Experiment WEGA mit dem nötigen Strom. Klar ist sie dafür überdimensioniert, aber nötig allemal.

    2. Kühlwasser wird eigentlich relativ wenig verwendet, die Anlage wird größtenteils mit flüssigem Helium und Stickstoff gekühlt. Alle Kühlsysteme liegen noch trocken und müssen dementsprechend noch gar nicht gewartet werden. Die meisten Anlagen sind zwecks Versicherungen nach strengen Spezifikationen sowohl technischer als auch sicherheitsrelevanter Art gebaut, die für einen Betrieb bis zur Verschrottung ausgelegt sind.

    Das mit dem Feigenblatt nehme ich etwas persönlich, bin ich doch selbst Teil davon :-)

    Noch zum Plan B: Wie sollte der Aussehen? Fast jedes Bauteil ist so einzigartig, dass es wochenlanger Verhandlungen mit dem Zulieferern bedarf - jeder Fehler ist immer gleich ein schlimmer Rückschlag. Jetzt liegt aber alles in den Händen des IPP selbst, und alles sieht nach Einhaltung des Bauplanes aus.
    Es gab (auch immer noch) einen Plan B, C, und D, was die Finanzierung und den Zeitpunkt der Inbetriebnahme angeht - das würde aber den Rahmen meiner Kommentarbox sprengen.

    Übrigens sind Besucher am Institut sehr gerne gesehen, da stelle ich mich gerne auch persönlich kritischen Nachfragen, die dem Institut natürlich wichtig sind.

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