31. März 2012

Erst indirekt vorverurteilend, dann scheinheilig (aktualisiert)

Ich hatte in den vergangenen Tagen nur die Schlagzeilen zum Mordfall Lena gelesen. Das reichte mir. Mich widert es an, wie Medien solche Fälle bildlich ausschlachten, ganze Seiten mit Spekulationen füllen - und zumindest indirekt vorverurteilen. Deshalb ein bruchstückhafter Rückblick auf das, was die OZ Ihnen noch gestern auf der Blickpunktseite (Seite drei) verkaufte:
Mordfall Lena: Trauer und Zorn in Emden 
Der Tatverdächtige ist erst 17 Jahre alt. Noch immer hat er nicht gestanden, doch er hat kein Alibi.
Genau solche Formulierungen sind es, die ich für verabscheuungswürdig halte. So schreibt nur, wer den jungen Man für den Täter hält.
Und aus dem Internet kommen massive Drohungen. 
Das ist kein Wunder, wenn so indirekt vorverurteilt wird und andere Medien, wie die BLÖDzeitung direkt vorverurteilen. Das wird dem Blatt sicher ein lächerliches Dudu, das dürft ihr doch nicht vom Presserat einbringen. Doch die Medien haben das Leben des jungen Mannes längst zerstört. Ebenso schuldig ist die Polizei in ihrem Zwang und ihrer Unfähigkeit, schnell Erfolge vorzuweisen. Es ist immer wieder dasselbe elende Spiel, das die meisten Medien seitenfüllend mitspielen.
... Die Bewohner der 52 000-Einwohner-Stadt Emden in Ostfriesland stehen unter Schock.
Das glaube ich nicht. Ich halte das für Blödsinn und Kammschererei, ein Mittel der OZ, ein Zusammengehörigkeitsgefühl herbeizuschreiben.
Und das Schlimmste: Der Täter schweigt. „Es gibt immer noch kein Geständnis“, teilte die Polizei gestern bei einer mit Spannung erwarteten Pressekonferenz mit.
Doch es gibt Indizien, die den festgenommenen 17-Jährigen — einen Berufsschüler — dringend tatverdächtig machen. So viel zumindest wurde gestern deutlich:
Der junge Mann hat für die Tatzeit kein Alibi. Und er verstrickte sich bei der Vernehmung in Widersprüche, so Werner Brandt, Leiter der 40-köpfigen Mordkommission „Parkhaus“. Endgültige Klarheit könnte schon in wenigen Tagen die Auswertung der am Tatort gefundenen DNA-Spuren bringen. Das Material wird vom Landeskriminalamt in Hannover untersucht.
...
Da kann einem der kalte Kaffee hochkommen. Es ist offensichtlich, dass sich niemand in der Redaktion gefragt hatte: Was ist, wenn ers nicht war? Völlig klar, dann hätte keine Blickpunktseite vollgeschrieben werden können.
Auch ist es direkte Vorverurteilung per Schlagzeile, und indirekte, einen Verdächtigen in einem BILDlichen Atemzug mit dem Massenmörder von Winnenden zu nennen, was natürlich auch noch Blödsinn ist:
Wenn Jugendliche zu Mördern werden
Er ist erst 17 — und doch steht ein Berufsschüler unter dem dringenden Verdacht, die elfjährige Lena in Emden zunächst vergewaltigt und dann umgebracht zu haben. Es sind Fälle dieser Art, die besonders betroffen und ratlos machen. Fälle, in denen Jugendliche, manchmal selbst beinahe noch Kinder, zu Tätern werden.
Tim Kretschmer ist ebenfalls 17, als er im kleinen Winnenden bei Stuttgart zur Schusswaffe greift. Es ist der 11. März 2009. ...
Natürlich musste die indirekte Vorverurteilung kommentiert werden, in ebenso elender Manier:
Mordfall Lena
Emden ist überall
Die kleine Lena ist tot. Sie wurde nur elf Jahre alt. Sie hat nichts getan, was den Eltern Anlass zur Sorge hätte geben können. Sie hat einfach nur draußen gespielt. In Emden, einer beschaulichen Stadt in Ostfriesland.
Und doch tickte gerade dort eine Zeitbombe, die Lena schließlich zum Verhängnis wurde. Wir wissen nicht sicher, ob der verhaftete 17-Jährige wirklich der Täter ist. Wir wissen nichts über sein Motiv, sein Elternhaus, seine Gewohnheiten.
Trotzdem ist eines klar: Bei dem Täter handelt es sich um einen Menschen, der bereit war, brutalste Gewalt gegen ein hilfloses Kind anzuwenden, der mitleidlos tötete.
...
Soso. Und was haben OZ und viele andere Medien mit dem Unschuldigen getan, denn:

Heute nun, jedoch nicht auf der Blickpunktseite (Seite drei), sondern auf der vorletzten Mantelseite (Seite acht):
Überraschende Wende im Mordfall Lena
Sie haben es nicht einmal vermocht, in der Schlagzeile unterzubringen, dass der junge Mann unschuldig ist. Schon hier beginnt die elende Heuchelei jener, die den Mann schon als Täter ansahen.
Die Polizei in Emden musste den verdächtigen 17-Jährigen wieder auf freien Fuß setzen. Er ist unschuldig. Am gleichen Tag nahmen Familie und Freunde Abschied von dem getöteten Mädchen. ...
Überraschend kann das nur jene, die im Stillen oder es aufschreibend den jungen Mann für den Täter und nicht für den Verdächtigen hielten, also z.B. den Schlagzeilenschmied.
Dieses Vorgehen (der Polizei) steht nun in der Kritik. „Man hatte den Eindruck, dass sie einen Täter präsentieren wollten“, sagt Strafrechtlerin Martina Renz-Bünning. Zwar habe sie keinen Einblick in die Ermittlungsakten, aber es sei fragwürdig, einen 17-Jährigen zu beschuldigen, weil er kein Alibi hatte. Außerdem sei seine Identität nicht ausreichend von den Behörden geschützt worden. „Wie wollen Sie diesem Mann je wieder ein normales Leben geben?“, so Renz-Bünning. ...
Genau diese Frage haben sich die meisten Medienvertreter, OZ, inkl., nicht gestellt, sonst hätten sie nicht indirekt/direkt vorverurteilt. So etwas kam dabei heraus:
Der 17-Jährige war daraufhin Opfer massiver Hassparolen und Lynchaufrufe im Internet geworden. In der Nacht zum Mittwoch hatten sogar rund 50 Menschen stundenlang das Polizeigebäude in Emden belagert.
Jahah, das böseböse Internet; da haben wir es wieder.
„Wir werden Hetzaufrufen in sozialen Netzwerken mit Nachdruck entgegentreten und dann auch gegebenenfalls Ermittlungsverfahren gegen Personen einleiten, die solche Aufrufe tätigen“ ...
Wer wird denn mit solchem Nachdruck den Verfehlungen der Medien nachgehen? Richtig, niemand. Denn die OZ würde behaupten, alles richtig gemacht zu haben, denn sie hat den Jugendlichen nicht als Täter bezeichnet, sondern nur geschrieben, er habe noch nicht gestanden.

Höhepunkt der Scheinheiligkeit war diese Zusatzinformation der OZ:
Die Unschuldsvermutung
Einer der wichtigsten Grundsätze des Rechtsstaats ist die Unschuldsvermutung. Danach gilt jeder Beschuldigte bis zum rechtskräftigen Beweis des Gegenteils als unschuldig und ist dementsprechend zu behandeln. Über die Europäische Menschenrechtskonvention von 1950 ist es in Deutschland unmittelbar geltendes Recht.
Aber jetzt:
Der Staat hat sich an dieses Prinzip zu halten. ...
Und die Medien?

Noch dies:
Die OZ würde sich, wie andere Medien auch, darauf berufen, die Polizei habe ja so wie aufgeschrieben informiert, würden sich Leser über die sog. Berichterstattung (denn es war ja vor allem Spekulation) darüber beschweren. Auch das wäre reine Scheinheiligkeit.

Polizeiverteter haben Journalisten schon so oft die Taschen bildlich vollgehauen, dass diese Journalisten endlich kapieren müssten, dass es falsch ist, der Polizei Informationen abzunehmen, ohne sie zu prüfen. Ich erinnere an die Lügenmeldungen und das Verhalten der Polizei und der Oberkriminalen vor und während des G 8-Gipfels in Heiligendamm und 2004 in Rostock.

Ich vermute, die Journalisten wollen nichts dazulernen, denn das Ergebnis wäre Mehrarbeit und weniger schnell gefüllte Seiten.

Aktualisiert, 19:55 Uhr:

Über die elende Scheinheiligkeit vieler Medien hat auch das Bildblog noch einmal eingetragen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.

Google