Rente mit 60?
Der Sozialwissenschaftler Rainer Roth erklärt, warum das Rentenalter nicht erhöht, sondern gesenkt werden sollte
... Während lange Zeit trotz steigender Lebenserwartung das Renteneintrittsalter gesenkt wurde, wird seit 20 Jahren das Dogma installiert, dass die Lebenserwartung Senkungen des Renteneintrittsalters ausschließe. ...
Es wird oft übersehen, dass die gestiegene Lebenserwartung jedoch auch die Lebensarbeitszeit der Erwerbspersonen zwischen 15 und 64 verlängert hat. 1891 erreichten nur rund 63 Prozent der Lebendgeborenen das Alter von 15 Jahren, ab dem die Erwerbsfähigkeit beginnt. 1950 waren es 92 bis 93 Prozent und 2008 waren es 99,4 Prozent. Allein durch die steigende Lebenserwartung vergrößerte sich das Potential an Erwerbspersonen ab 15 um etwa 60 Prozent. Die gestiegene Lebenserwartung vergrößerte also objektiv die Produktivität des bestehenden Potentials an Arbeitskräften. Sie produzierte im historischen Verlauf mehr "potentielle Beitragszahler" unter 65. Entscheidend ist jedoch, dass als Folge der Entwicklung der Produktivität unter kapitalistischen Bedingungen immer mehr "Beitragszahler" freigesetzt werden. ...
es geht bei der Rente mit 67/70 in erster Linie darum, dafür zu sorgen, dass die höhere Lebenserwartung die Kapitalverwertung nicht beeinträchtigt. Das Kapital lehnt die Verantwortung für Menschen ab, die nichts zu seiner Vermehrung beitragen und umso unerträglichere Kostenfaktoren sind, je länger sie leben. Es fühlt sich von der wachsenden Zahl der Rentnerinnen und Rentner bedroht. Die Alten erscheinen ihm als "Altenlast", "Rentnerberg", "Rentnerschwemme", "Rentenfalle", wie bspw. in der FTD vom 18.08.2003 zu lesen war, einfach als Katastrophe. Um Beitragserhöhungen zu vermeiden, wehren sich die Arbeitgeber erst recht gegen die Rente mit 60, da sie ohne Beitragserhöhungen in der Rentenversicherung nicht finanzierbar sei. Das ist richtig. Und die wollen sie im Interesse des Profits ausschließen. Aus demselben Grund tritt die Wirtschaft auch für die Rente mit 67/70 ein. Diese vermeidet eine Erhöhung des Arbeitgeberbeitrags um lächerliche 0,25 Prozent oder 2,25 Mrd. Euro jährlich. ...
Maßstab für die objektive Möglichkeit, ab 60 die volle Rente zu zahlen, ist das von Erwerbstätigen erwirtschaftete Volkseinkommen. Das Volkseinkommen (die Summe aller Löhne, Gewinne, Mieteinnahmen usw.) stieg von 1950 bis 2009 um das 23-fache, von 2.007 auf 46.194 Euro pro Erwerbstätigem (Lohnabhängige und Selbstständige). Die Produktivität pro Erwerbstätigem ist also enorm gestiegen. Die Zahl der Erwerbstätigen wiederum stieg von 19,57 Millionen auf 40,265 Millionen. Allein vom Umfang des gesellschaftlichen Reichtums wäre es durchaus möglich, der wachsenden Zahl der Rentnerinnen und Rentner ein auskömmliches Leben zu ermöglichen. ...
Je kaltschnäuziger und asozialer das Kapital wird, desto eher müssen die zu diesem Zweck getroffenen Maßnahmen als alternativlose objektive Gesetzmäßigkeiten verkauft werden, obwohl es sich nur um Maßnahmen im Interesse von Prozentsätzen bei der Anlage von Kapital handelt. Die Wahrheit ist schädlich für das Ansehen der Profitgeier.
Um die Notwendigkeit der Rente mit 67/70 zu beweisen, setzen alle Ideologen des Kapitals als wichtigstes Thema die drohende "demografische Katastrophe", die eigentlich nur eine Katastrophe für die Kapitalverwertung ist, der es nicht gefällt, dass Menschen älter werden, ohne dass sie noch verwertbar sind. ...
Wir fordern 60 Jahre als gesetzliche Regelaltersgrenze, den Bezug der vollen Rente nach 35 Jahren Versicherungsjahren, eine Grundrente in Höhe von 1.000 Euro brutto als Mindestrente innerhalb der Rentenversicherung (1000 Euro brutto = 900 Euro netto oder 500 Euro Eckregelsatz plus Warmmiete), eine Versicherungspflicht für alle - Aufhebung der Beitragsbemessungsgrenze, die Abschaffung der Deckelung der Beiträge zur Rentenversicherung, die Wiederanhebung des Körperschaftsteuersatzes und des Spitzensteuersatzes der Einkommensteuer auf die früheren 56 Prozent, die volle Sozialversicherungspflicht für geringfügige Beschäftigungsverhältnisse, einen gesetzlichen Mindestlohn von mindestens zehn Euro brutto, keine staatliche Förderung privater Altersvorsorge (betriebliche Altersvorsorge, Riester-Rente usw.). ...
Das ist interessant und wiederlegt die Lüge von der Notwendigkeit des späteren Renteneintritts.
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