23. Februar 2010

Nichts Neues? Das schreiben wir auf!

Wir wissen zwar nicht mehr als gestern, das aber schreiben wir auf. Diesen Eindruck erweckt die Berichterstattung über ein Tötungsdelikt, das gestern bereits auf unterstem Boulevard-Niveau (nicht einmal das können sie richtig) ausgewalzt worden war, heute nun im Lokalen und auf der Landesseite (dort mit dem Ergebnis: Wir tollen Schützenvereine haben Gesetze, aber deren Einhaltung wird nicht kontrolliert - und schon ist es abgehakt von der OZ).
Auf der Titelseite:
Nach Ehedrama: Ermittler rätseln über Mordmotiv
Haftbefehl nach tödlichem Ehedrama in Ikendorf (Landkreis Bad Doberan). Das Amtsgericht Rostock hat gegen Ehemann Holger H. Haftbefehl nach tödlichem Ehedrama in ...dorf (Landkreis Bad Doberan). Das Amtsgericht Rostock hat gegen Ehemann Holger H. (45), der am Sonntag betrunken seine Frau Jana H. heimtückisch mit Genickschuss getötet haben soll, Haftbefehl wegen Mordes erlassen. ...
Von dort an erfahren die Leser nichts Neues, das mit dem Verbrechen in Zusammenhang steht - kritischer Qualitätsjournalismus, wie ihn sich die OZ vorstellt. Ich bezeichne das als Spaltenfüllerei.

Wetten, dass die Ermittler nicht rätseln, wie von der OZ in der Schlagzeile unterstellt, sondern ermitteln? Rätseln können die Leser der OZ auch so oft genug, wenn ihnen dumme Fragen gestellt werden, z. B. diese im OZ-Onlinebereich:
Ehedrama: Tötete er, weil sie die Scheidung wollte?
So beginnt der Text:
Holger H. schweigt zu seinem Motiv für den tödlichen Schuss auf seine schlafende Ehefrau. Auch die meisten ...dorfer hat die Bluttat sprachlos gemacht. 
Klar, weil er alle 350 Einwohner ansprach, konnte er schlussfolgern, dass die meisten sprachlos sind. Doch das tat er nicht, (Wie ganz unten zu lesen ist, beäugte er stundenlang vor dem Haus, in dem die Tat geschah, Vorübergehende und registrierte deren Blicke.), sondern saugte es sich bildlich aus den Fingern. 

Aha, kaum einer sagt etwas, doch die OZ füllt dennoch Spalte für Spalte, gleich im nächsten Satz mit einem Gerücht, woraus die OZ gleich mehrere machte, denn ein Gerücht war dem Autor nicht genug (Warum sonst die Mehrzahl?):
Es gibt Trennungsgerüchte.
Jetzt noch einmal zur Schlagzeile: Da es nur ein Gerücht ist, was die OZ einfach mal so zum Tatmotiv erklärt (Warum beginnt die Schlagzeile sonst mit Ehedrama:?), handelt es sich womöglich gar nicht um eine Ehedrama. Das ist der OZ scheißegal. Ebenso war der OZ egal, die Tote gestern zu einem Mordopfer zu erklären, obwohl nicht geklärt ist, ob es sich um Mord oder Totschlag handelt.

Und dann beginnt der Autor weiterzuspinnen (oder im OZ-Jargon: sorgfältig zu recherchieren):
Auf den Schock folgt lähmendes Entsetzen: Die Frau, die den Gehweg an der Dorfstraße von ...dorf vom Schnee reinigt, schaut verbittert auf den Besen. Fragen ignoriert sie.
Dass die Frau einfach müde sein könnte vom Fegen oder angewidert von den Fragen des Autors, kommt dem Redakteur nicht in den Sinn; für ihn und die Leser, die ihm den Quatsch glauben, ist es lähmendes Entsetzen.
Zwei Häuser weiter äugt ein Mann neugierig über seinen Gartenzaun. Von dem, was im Dorf vor sich gehe, wisse er nichts, sagt er knapp. Er sei erst vor Kurzem zugezogen. Die Tat des ehemaligen Bauunternehmers Holger H. (45), der in der Nacht zu Sonntag seine gleichaltrige Frau Jana im Schlaf mit einem Revolver erschoss, hat die ... dorfer sprachlos gemacht. ... Hervorhebung von mir
Das ist doppelt falsch, alle über den Kamm geschoren, denn oben war zu lesen:
die meisten ...dorfer hat die Bluttat sprachlos gemacht Hervorhebung von mir
Hinzu kommt, dass der Autor offenbar nicht glauben kann, dass der Angesprochene tatsächlich nichts weiß - unvorstellbar für den Aufschreiber. Die Tat hat sie sprachlos gemacht? - reine Redakteurs-Spinnerei.
Weiteren Quark erspare ich Ihnen bis auf den Schluss:
Vielleicht scheinen auch gerade deshalb in dem 350-Seelen-Ort die Uhren still zu stehen. 
Häh? Was soll denn das heißen? Auf welche Uhren schaute der Autor? Und warum sollten sie alle stehenbleiben? Er muss ja, um zu dieser Erkenntnis zu gelangen, alle Uhren im Dorf inspiziert haben. Doch das hat er nicht. Er hat es sich einfach ausgedacht. Warum er das auch noch aufschrieb, fragen Sie ihn lieber selbst.
Lediglich die durch das Dorf fahrenden Autos sorgen für Unruhe. 
Warum sollte es denn unruhig sein? Nur weil wohl der Autor unruhig war, müssen doch nicht alle Einwohner wie aufgescheuchte Hühner im Dorf umherlaufen und gackern.
Wer an dem Haus, in dem das Ehepaar wohnte, vorbeigeht, schaut nur verstohlen auf die Klinkermauern. ... ausgenommen der Autor, denn der hatte ja stundenlang Zeit zu beobachten, ob Vorübergehende verstohlen oder offen dass Haus betrachten.
Klar, sonst glotzten die Einwohner stets in die Fenster und beäugten genauestens, was sich im Haus und darum herum ereignete. Viel können sie aber nicht mitbekommen haben, wenn die meisten nichts wissen und kennen außer einem Gerücht, das der Autor einfach vervielfachte.
Ein Pkw steht in der Auffahrt, die Frontscheibe ist zugeschneit. Keine Blume oder Kerze unterbricht das kalte Weiß des Schnees.
Ja, schrecklich - diese Versuchslyrik. Weder unterhält das, noch informiert es. Es steht einfach nur da.
So ein kleiner, versteckter Vorwurf bleibt den Dorfbewohnern nicht erspart. Vielleicht hatte er noch das z.T. hysterische Theater nach dem Tod Lady Di.s in Erinnerung. All das blieb aus.

Wenigstens ersparte die OZ ihren Lesern den Blödsinn, der Ehemann habe seine Frau hingerichtet, über die das Blatt gestern noch in bildlich überschäumender Sensationsgier auf der Titelseite schwadroniert hatte. Mit dem Wort Hinrichtung verbindet der Durchschnittsdeutsche im Gegensatz zur OZ die Vollstreckung eines Urteils. Es gab wohl auch keinen Grund, den Quark zu wiederholen, der einer Vorverurteilung des Täters nahekommt, denn heute war zu lesen:
Die These, dass es sich dabei um einen Genickschuss gehandelt habe, sei ins Wanken geraten.

3 Kommentare:

  1. Anonym23.2.10

    Die Uhren bleiben stehen....
    Nun muss ich wirklich schmunzeln, auch wenn die Sache an sich zum Heulen ist.
    Irgendwie kann der Autor seine phantastischen Gedankengänge nicht mehr steuern, das passt alles nicht.
    Aber gut, 0815 - Geschreibe, eben OZ.
    Das sollte bestimmt "die Storry" sein.

    Ich persönlich finde es widerwärtig, wenn Journalisten versuchen, aus Menschenschicksalen eine Sensationsstorry zu machen.

    Mich interessiert es nicht die Bohne, ob in dem Dorf Autos fahren und der andere aufgeschriebene Mist ebenfalls nicht.

    Es wurde sehr viel geschrieben und kaum etwas vermittelt.

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  2. Anonym24.2.10

    Es wäre doch eine nur konsequente Massnahme, wenn als Reaktion auf diesen jämmerlichen "Bericht" alle Einwohner dieses Dorfes diese sogenannte Tageszeitung abbestellten.

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  3. Es wäre eine Möglichkeit für jene, die sich falsch dargestellt sehen, aber eben nur eine.

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