Halbe Wahrheit
Zugegeben - die Zahlen, die die Agentur für Arbeit gestern auf den Tisch legte, wirken beeindruckend: Mecklenburg-Vorpommern hat die geringste September-Arbeitslosenquote seit dem Jahr 1991, rund 4800 weniger Arbeitslose als im vergangenen Monat, sogar 19 500 weniger als im September 2007.Das ist Quatsch: Wegen der ständigen Änderungen an den Arbeitsmarktgesetzen und der Statistik sind die aktuellen Zahlen mit denen von 1991 nicht vergleichbar. Wer das tut, hat keine Ahnung oder will keine haben.
Was die Rekord-Statistik verschweigt: Insbesondere im Nordosten nimmt die Anzahl der sogenannten prekären Beschäftigungsverhältnisse zu. Und zwar dramatisch.Soso, was hat die OZ getan, um das Schweigen zu brechen? Nichts! Die Redaktionen verbreiten den statistischen Quark aus den Arbeitsagenturen, sonst nichts. Ich habe jahrelang ausführlich darüber geschrieben. Die OZ und viele andere Medien tragen Mitschuld am Verschweigen und an der Verblödung der Mediennutzer.
Im Klartext: Immer mehr Menschen halten sich mit schlecht bezahlter Teil- oder auch Vollzeitarbeit sowie Ein-Euro-Jobs über Wasser. Leiharbeit boomt. Gleiches gilt für mehr oder weniger gut qualifizierte (und honorierte) Stellen in der Callcenter-Branche. ... Deshalb: Grenzenloser Jubel ist unangebracht.Achja? Und warum jubelte die OZ heute auf der Titelseite, dass ich dachte, ich lese in einem Parteiorgan aus alten Zeiten?
Und warum gibt auch ein Lokalredakteur der Usedom-Peene-Zeitung Schöngeredetes wieder?
Arbeitslosenzahl im Landkreis so gering wie nie zuvor
Der landesweit gute Trend bestätigt sich auch in Ostvorpommern. Ende September waren 14,5 Prozent der erwerbsfähigen Personen ohne Job. Die beste Zahl seit Gründung des Kreises.Wo sind die Zahlen, anhand derer sich die Leser selbst ein Bild machen können?
... Ebenfalls erfreulich: Die positive Entwicklung resultiert zu großem Teil aus der Schaffung neuer sozialversicherungspflichtiger Stellen, wie Radloff betonte, wenn auch die Zahl von Maßnahmen auf dem zweiten Arbeitsmarkt im Vergleich zum August wieder leicht angestiegen sei. ...
Wie positiv ist die Entwicklung?
Wie viele Stellen wurden geschaffen, wie viele sind Vollzeitstellen?
Wie viele sind Dauerarbeitsplätze?
Wie viele wurden ohne Zuschüsse der Arbeitsagenturen geschaffen?
Wie leicht ist ein leichter Anstieg? Dazu ein kleines Bsp.: Die Sozialagentur OVP meldete 330 Alg 2-Empfänger weniger als vor einem Monat. Haben die nun alle Arbeit gefunden? Laut Statistik ja, denn zugleich stieg die Zahl der Ein-Euro-Sklaven um 291 Personen. So ist das mit dem leichten Anstieg. So lässt sich ein Redakteur die Taschen vollhauen.
Wie hoch wäre die Arbeitslosigkeit, würde niemand abwandern?
Das alles und eine Menge mehr erfährt kein Leser.
Dass die Zahlen in eine Gesamtschau mit den wirtschaftlichen Verhältnissen im Land und den Einkommen der Bewohner gestellt werden, erwarte ich schon lange nicht mehr. Doch erst da fängt Journalismus an und hört Auf- oder gar Schönschreiberei auf.
Hier ein Hinweis:
Nur fünf bis zehn Prozent der in Anklam ausgebildeten Abiturienten bleiben in Mecklenburg-Vorpommern - und das anhaltend seit Beginn der 90er Jahre.
Wie verträgt sich das mit dem Geschwafel eines Ministers, das kommentarlos in die OZ übernommen wurde:
Studie: MV verliert bis 2030 15 Prozent EinwohnerNatürlich schenke ich der Studie keinen Glauben. Andererseits entspricht der Verlust dem der Vorjahre.
... Dieser Rückgang sei für Mecklenburg-Vorpommern nicht mehr ganz so dramatisch, wie noch vor einigen Jahren angenommen, sagte Landesentwicklungsminister Otto Ebnet (SPD).Hier seine ministeriellen Argumente:
Zum einen sei die Lebenserwartung der Menschen in den vergangenen Jahren deutlich stärker gestiegen, als erwartet. Zudem ist laut Ebnet davon auszugehen, dass es wegen einer verbesserten Wirtschaftlage weniger Abwanderungen junger Menschen geben wird.Das ist nicht zu fassen, der Entwicklungsminister phantasiert. Dass da nicht nachgehakt wurde, ist typisch für die OZ.
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