5. Risikovorsorge geht von falschen Voraussetzungen aus und ist folglich fehlerhaft:
Ursache-Wirkungsbeziehungen sind weder evident (offenkundig) noch direkt beobachtbar. Jeder Gutacher ist also auf – in vorliegenden Fällen umstrittene – Modelle angewiesen, die ihren hypothetischen Charakter nicht verleugnen können.
• Das IOW hat in seinem Sondergutachten zur Kühlwasserabwärme hinsichtlich des von ihm verwendeten ‚biogeochemischen 3-D-Modells’ selbst bekundet, dass damit „keine Vorhersage künftiger Zustände, sondern nur eine mögliche künftige Situation simuliert“ werde; und es hat eingeräumt: „Tatsächlich gehen wesentlich mehr Parameter in die Prozesse ein als die im Modell zur Verfügung stehenden.“
• Im Erläuterungsbericht zur UVU (Kap.14) stellen FROELICH & SPORBECK auf Seite 221 fest: „Es ist unsicher, ob die Einleitung von Kühlwasser irgend eine signifikante Zunahme in der Anzahl von Vibrio vulnificus im Wasser der nahegelegenen Erholungsstrände verursachen wird“; und weiter auf Seite 269: „Eine Betroffenheit von Fischen und Rundmaularten ist aufgrund ihrer Seltenheit [sic!] relativ unwahrscheinlich, aber nicht vollständig auszuschließen“; dann weiter auf Seite 271 zu Quecksilbereinträgen und daraus über die Nahrungskette resultierenden Schadwirkungen: es sei „nicht endgültig möglich, eine fundierte Aussage über die Auswirkungen eines zusätzlichen Quecksilbereintrags auf die Endglieder der Nahrungskette zu treffen.“ [Anmerkung: Unter solchen Voraussetzungen werden behördliche Genehmigungen äußerst problematisch, wenn nicht unmöglich.]
Um nur beim ‚Schutzgut Mensch’ zu bleiben: Wie kann man sich bei solchen prognostischen Risiken zu der auch juristisch nicht belastbaren Behauptung versteigen (DONG Energy, Kurzdarstellung des Vorhabens, Oktober 2007, Seite 18): „Von der geplanten Anlage werden […] für das Schutzgut Menschen und die menschliche Gesundheit keine erheblichen nachteiligen Umweltauswirkungen ausgehen“?
• BUCKMANN, Prognose der Ausbreitung von Abwärme (Kapitel 11, Seiten 50-61) räumt ein: „Der Rückgang der Besiedelung mit Makrophyten und benthischen Lebewesen infolge der zeitweisen Überspülung mit Kühlwasser ist wissenschaftlich nicht ausreichend erforscht.[Und ]…bei Prognosen [gäbe es] immer ein vorhandenes prognostisches Risiko… […] Ob die Kühlwasserfahnen zu einer biologisch begründbaren Veränderung der Lagestabilität von Sedimenten auf den Flachwassergebieten führen können, ist auf dem Stand der meeresbiologischen Forschung derzeit nicht entscheidbar.[…] Bei der Auswahl der Instrumentarien für einen Modellansatz geht es meistens darum, einen praktisch wirksamen Kompromiss zwischen theoretischem Anspruch, Verfahrensaufwand und Nutzen zu finden.“
Die begrenzte Möglichkeit, Kausalbeziehungen hinreichend zu erfassen und Auswirkungen quantitativ abzuschätzen, wird fälschlich und seitens des Vorhabensträges in betrügerischer Absicht als Sicherheitsbeweis dargestellt. Dabei zeigen unendlich viele Beispiele, wie fehlerhafte Risikobewertungen dazu geführt haben, dass Gegenmaßnahmen zu spät ergriffen wurden oder überhaupt nicht mehr durchführbar waren. ...
Bei den vorliegenden Gutachten fanden beispielsweise die nach internationalen Standards gebräuchlichen ‚Ampelmodelle’ (Darstellung von Normal-, Grenz- und Inakzeptabel-Bereichen) keine Anwendung. Hierzu verweise ich auf die Verlautbarungen des Wissenschaftlichen Beirats für globale Umweltveränderungen, auf die allgemein zugängliche Fachliteratur (z.B. PIECHOWSKI 1999, RENN 2007, u. a.), auf das Arbeitspapier der Budapester Ministeriellen Konferenz Umwelt und Gesundheit (EUR/04/5046267/11), sowie auf das Diskussionspapier des Landesumweltamtes NRW „Im Zweifel für die Gesundheit“ (www.lanuv.nrw.de).
Es ist unbegreiflich, dass einige Gutachter ihrem Auftraggeber so erbötig sind, auch bei wenig belastbarer Ausgangslage weitreichende Voraussagen treffen, die den Anschein von Sicherheit erwecken, aber schwerwiegende Folgen nach sich ziehen können. Zur Anwendbarkeit des Vorsorgeprinzips hat sich das Europäische Parlament in Übereinstimmung mit der Europäischen Kommission in einer eigenen Entschließung (A5-0352/2000) wie folgt geäußert (www.europaparl.europa.eu):
Das Vorsorgeprinzip ist in all den Fällen anwendbar, in denen wissenschaftliche Beweise nicht ausreichen, keine eindeutigen Schlüsse zulassen oder unklar sind, begründeter Anlass zu Besorgnis über die Möglichkeit besteht, dass potentiell schädliche Folgen für die Umwelt und die Gesundheit von Menschen, Tieren und Pflanzen eintreten. Das Europäische Parlament ist der Ansicht, dass die öffentlichen Entscheidungsträger vor jeder Entscheidung über zu treffende Maßnahmen einen Überblick über die verfügbaren Erkenntnisse zum jeweiligen Risiko haben sollten, wobei dieser Überblick von Sachverständigen erstellt werden sollte, die unabhängig von den betroffenen Parteien sind, in der wissenschaftlichen Fachwelt wegen ihrer Kompetenz auf dem betreffenden Gebiet Anerkennung genießen und nach einem transparenten Verfahren ausgewählt werden. Das Europäische Parlament ist ferner der Ansicht, dass alle betroffenen Hauptbeteiligten, gegebenenfalls auch Vertreter der Zivilgesellschaft, in diesbezügliche politische Entscheidungen einzubeziehen sind und dass wissenschaftliche Minderheitenansichten berücksichtigt werden müssen. Der Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt muss Vorrang vor jeder anderen Erwägung haben. Es gibt keine Mindestrisikoschwelle, unterhalb derer das Vorsorgeprinzip nicht berücksichtigt werden muss; es kann daher selbst bei geringem Risiko herangezogen werden. Die Prüfung der Vor- und Nachteile darf nicht ausschließlich auf wirtschaftlichen oder finanziellen Kriterien beruhen, sondern es müssen zum Beispiel auch die Kosten der Untätigkeit für die Umwelt und die menschliche Gesundheit sowie die Risikowahrnehmung in der Bevölkerung und die Akzeptanz der in Betracht gezogenen Maßnahme berücksichtigt werden.
In diesem Zusammenhang muss noch einmal auf eine Einlassung des STAUN-Vorbescheides (Nr. 0110.1-60.049/07-410, Anlage 2, Seite 100) zurückgekommen werden, wonach die Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation angeblich „keinen Rechtsanspruch begründen“ (Deutschland ist WHO-Mitglied seit 1951 und drittgrößter Beitragszahler). Mir ist bewusst, dass die Behörde keinen politischen Entscheidungsspielraum hat, und es mag sein, dass in dieser Sache formaljuristisch kein Rechtsinstrument verfügbar ist. Indessen wird die dargelegte politisch-rechtliche Lücke durch eine parlamentarische Debatte unverzüglich geschlossen werden müssen. Weil dies keinen Aufschub duldet, werden auch die Medien und die außerparlamentarische Opposition ihr Interesse bekunden.
Auch die OZ? Daran zweifle ich bis zum Beweis. Ich bezweifle, dass sich die OZ in irgendeiner Weise aus den Einwendungen Vaters und anderer zu Themen anregen lässt, die keine andere Zeitung hat. Warum sollte sie das tun? Noch hat sie ausreichend Zeitungskäufer, auch wenn es immer weniger werden. Außerdem ist sie Zeitungsmonopolist, was allerdings langfristig nichts zu bedeuten haben wird; Sie wissen schon, das böseböse Internet.
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