26. Mai 2006

Das geht doch keinen etwas an?

Aus dem Blog-Kommentar eines Anonymus:
Während also die Generation der Überlebenden bei Tätern wie Opfern ausstirbt, wissen viele BürgerInnen nichts oder nichts mehr von dieser Geschichte. Trotz oder gerade wegen des staatlich verordneten Antifaschismus? Stattdessen sollten sie sich heute nach Meinung mancher Möchtegernezitungsmacher Tag für Tag mit stupiden Hartz IV (ALG II)-Formularen rumschlagen und vor allem Beiträgen dazu in ihrer
Zeitung.

Nun weiß zwar ich nicht, wer die Möchtegerne sein sollen, die sich das wünschen, doch ich vermute, dass dem Anonymus nicht klar ist, wie tiefgründig die Hartz-Gesetze die gesamte Gesellschaft verändern. Ich gebe ihm und allen anderen Blog-Lesern gern einige Lesetipps, die weder etwas mit dem Herumschlagen noch mit Stumpfsinnigkeit zu tun haben.

Im Übrigen bin ich der Meinung, dass auch in der OZ hochinteressante Geschichten zu dem Thema stehen könnten, wenn sich Redakteure die Mühe machten, hinter die Kulissen zu schauen.
Unklar bleibt mir, warum die Chefredaktion in einem Schreiben an den Presserat behauptete, Erwerbslose seien zum großen Teil Leser der OZ und dennoch vermeidet, solche Zusammenhänge in Hintergrundberichten darzustellen.

Die OZ hatte es geschafft, am 18. Mai zu melden, dass der Sozialhilfesatz 345 Euro beträgt.
Sozialhilfesatz ab 2007 gleich
In Ost- und Westdeutschland soll es zum 1. Januar 2007 erstmals einen einheitlichen Sozialhilfesatz von 345 Euro monatlich geben. ... Die Gesamtzahl der Hilfsbedürftigen bezifferte er auf 560 000 bis 580 000.
Nichts las ich seitdem darüber, wie der neue Regelsatz zustande kam und wie er sich auf die Finanzen vieler Deutscher auswirkt oder auswirken könnte.
Paritätischer Wohlfahrtsverband
fordert 20-prozentige Anhebung des Regelsatzes bei Alg II und Sozialhilfe - "Berechnungen der Bundesregierung fachlich zweifelhaft".
Ausführliche Brechnungen können hier kopiert werden.
Kostprobe:
Dabei ist der Regelsatz nicht nur für die Sozialhilfe von Bedeutung. Er bestimmt faktisch die Höhe des Arbeitslosengeldes II und auch die Grundsicherung für alte und erwerbsunfähige Menschen. Er ist maßgebend für die Höhe des 2005 eingeführten Kinderzuschlages und für die Bestimmung der Pfändungsfreigrenzen. Schließlich leitet sich vom Regelsatz die Höhe des steuerlich geltend zu machenden Existenzminimums ab.
Der Regelsatz ist damit eine ganz zentrale gesamtwirtschaftliche, steuerpolitische und sozialpolitische Stellschraube, die so gut wie jeden in unserem System – ob Transferleistungsbezieher oder Steuerzahler - betrifft.
So rechneten die sog. Spezialisten, ein Beispiel:

1,76 Euro monatlich für Schulmaterial für ein Kind weist die Regelsatzstatistik aus, 86 Cent für Spielsachen, 250 Euro im Jahr
für sämtliche Bekleidung und Schuhwerk von Kindern - die nun einmal im Wachstum sind. Diese Zahlen sind Beleg, dass die Art und Weise, wie die Beträge im Statistikmodell ermittelt werden, mit dem realen Leben im Grunde nichts mehr zu tun haben. Die Crux liegt in der völlig skurrilen Ableitung der Kinderregelsätze vom Verbrauchsverhalten allein lebender Erwachsener. So können wir für den Säugling zwar 12,24 Euro für „alkoholische Getränke und Tabakwaren“ errechnen, suchen aber vergeblich nach den teuren Windeln. Die Bedarfe von 1,7 Millionen Kindern, die derzeit schätzungsweise auf Sozialhilfeniveau leben müssen, finden keinerlei Niederschlag in der Statistik.
Auch interessant:
Wodurch ist die Arbeitsmarktreform teurer geworden als erwartet?
Oder dies:
Wehrlose Bürger
... Der Staat hat längst die Übersicht verloren, er weiß nicht mehr, was er mit seinen Ein- und Ausgriffen bewirkt. Aber statt sich zu zügeln, greift er nur immer weiter aus. Unter seiner tatkräftigen Führung sind die Deutschen in die Lage jener Reisegesellschaft gekommen, von der Mark Twain berichtet: Nachdem sie die Richtung verloren hatten, beschleunigten sie das Tempo.
Oder hier nachlesen:
Statt Hartz IV zu kürzen, sollte endlich ein Mindestlohn eingeführt werden. Das entlastet die Bundesagentur für Arbeit und erspart Arbeitnehmern ein Dasein als Working Poor
Wusten Sie, dass mehr Geld für die Verwaltung Hartz 4-Betroffener ausgegeben als an Alg 2 ausgezahlt wird? Dann bitte hier nachlesen.
Noch ein Zusammenhang:
Ausländerhass und soziale Fragen gehören zusammen. Die Warnungen kommen zur rechten Zeit
Und so weiter.

2 Kommentare:

  1. Anonym27.5.06

    ... und dennoch besteht die Leserschaft nicht nur aus hartz IV-Empfängern. Und es gibt Menschen mit anderen Lebensrealitäten, die auch nicht tagtäglich in der Zeitung als (gähn) supergenaue und ellenlange Info abverlangt werden.

    Ich empfehle Merkblätter und Fachzeitung. Gäge doch ein neues Genre. Wie die Straßenzeitungen einfach für einen Euro Hartzer..

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  2. Anonymus ist immer noch nicht klar und wird es auch nicht werden, wie tiefgründig die Hartz-Gesetze die gesamte Gesellschaft verändern, bis er es vielleicht unmittelbar zu spüren bekommt. Er hätte es nämlich schon merken müssen, da z. B. durch den neuen alten Regelsatz nahe zu alle Bürger direkt betroffen sind, auch anonyme.

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