23. November 2010

Übers Aufsatzschreiben und Rechercheunfähigkeit

Der Protest gegen den Castortransports könnte die größte Aktion werden, die es in Vorpommern bisher gab. Und was schrieb die OZ bisher dazu?

Gestern berichteten der Umstrukturierer und die Modernisiererin, dass sie das Atommüll-Zwischenlager am Bodden besucht hätten. Das veranlasste kaiderChef zu dieser Bemerkung:

Mutti, ich war in Lubmin und die EWN haben mir noch diesen Aufsatz http://bit.ly/9Zune6 geschenkt. #OZHGW auf Klasse-4-Niveau
Im Prinzip hat er Recht, doch ich würde Klasse vier durch Klasse acht ersetzen. Eine journalistische Leitung ist tatsächlich nicht zu erkennen.
Ich beschränke mich auf einen Ausschnitt aus dem ersten Teil des Textes:
... 50 Mikrosievert — so hoch ist die erlaubte Tagesdosis für Gäste. „Das entspricht der natürlichen kosmischen Strahlung während eines Transatlantikfluges“, sagt Marlies Philipp von den Energiewerken Nord (EWN), die das Zwischenlager am Standort des ehemaligen Kernkraftwerkes betreiben. Steigt die Strahlung zu stark an, dann soll das Dosimeter einen schrillen Piepton abgeben. Allein darauf muss man vertrauen. Radioaktivität riecht nicht, sie schmeckt nicht. Die Gefahr ist unsichtbar und erzeugt genau deshalb ein mulmiges Gefühl.
Sie haben es gemerkt? Wir haben alles im Griff, messen ganz genau; es kann nichts passieren.
240 Millionen Euro hat der Bau gekostet. Seit 1999 wird hier Atomschrott eingelagert: 5048 Brennelemente in 65 Castoren, sechs Reaktorbehälter aus den DDR-Kernkraftwerken Lubmin und Rheinsberg sowie mehrere Dampferzeuger, darunter auch zwei aus dem 2005 stillgelegten Kraftwerk Obrigheim in Baden-Württemberg. Hinzu kommt jede Menge schwach- und mittelradioaktiver Atommüll.
Seit 1999 also. Und wie ist dazu gekommen? Keine Ahnung. Ich werde Ihnen unten Material geben, das die Geschichte des Atommüllagers nachzeichnet
Für einen Zeitraum von 40 Jahren hat das Bundesamt für Strahlenschutz den Betrieb genehmigt. 
Und danach? Wie sieht es mit einer Verlängerung aus, falls es bis dahin kein Endlager gibt? 
Hier die Antwort:
Die EWN bereiten sich deshalb darauf vor, den Standort länger zu erhalten. „Wir müssen eine Verlängerung der Genehmigung relativ früh beim Bundesamt für Strahlenschutz beantragen.“
Wozu also das Gedöns mit 2039? Wer daran glaubt, ist Aufsatzschrieber, nicht Journalist. Ebenso ist es hiermit:
Im Juni 2006 entschied das Verwaltungsgericht Greifswald, dass auch radioaktive Abfälle aus westdeutschen Kernkraftwerken bis zu zehn Jahre lang in Lubmin deponiert werden dürfen.
Und danach? Klar, es wird ebenfalls eine Verlängerund beantragt werden.
Der Aufsatz des Autorenduos erinnerte fatal an die Schönschrift über den Besuch in einem dänischen Kohlekraftwerk zum Kauf anbieten ließ, mit der der Usedomer Lokalchef 2007 die Lubminer in Bestlaune versetzen wollte.
Apropos Lokalchef. Auch er berichtete heute über die Vorbereitung der Proteste gegen den Castortransport:
Atomkraftgegner proben Protest vorm Zwischenlager
Das ist falsch. Es war keine Probe, steht sogar im Artikel. Aber so genau kommt es in der OZ sowieso nicht an. Hauptsache Kriminalisierung von Protestvorbereitern. Und das geht so:
Diese Sache wird noch ein Nachspiel haben. Meint jedenfalls Polizeisprecher Axel Falkenberg. Aus seiner Sicht sei der Protest einer Handvoll Leute am Sonntagmittag vor dem Zentralen Zwischenlager Nord in Lubmin eine abgekartete, bestellte Aktion gewesen. Deshalb habe auch deren Initiatorin, Christa Labouvie (Kreistagsabgeordnete von der Insel Usedom), nunmehr eine Klage am Hals. „Es handelte sich laut gültigem Recht um eine nicht genehmigte Versammlung“, meint Falkenberg weiter. Dem werde nachgegangen.

Die Betroffene sieht die Sache wesentlich lockerer. ...
Labouvie hätte berichtet, wäre sie gefragt worden:
Heute morgen war ein ARD-Team "Kontraste" bei uns, wir haben uns am Zwischenlager getroffen....
Das Thema sollte sein: Wiederaufarbeitungsanlage Karlsruhe und Aufnahme von "Westmüll" im Zwischenlager Nord.
Noch harmloser hört sich übrigens der fachlich korrekte Begriff "Transportbehälterlager", kurz TBL genannt, an. ... auf alle Fälle interessierte die ARD nur Karlsruhe und der "West- und Ostmüll".
Voraussichtlicher Sendetermin: Donnerstag, 25.11.10, 21.45 ARD Kontraste. 
Und was interessierte die OZ? Sie haben es oben erfahren. Durch diesen Vergleich wird schon sichtbar, was für ein Peinlichkeit verbreitendes Blatt die OZ geworden ist. Das Zwischenlager liegt nämlich immer noch im Verbreitungsgebiet der OZ. Und wenn der Usedomer Lokalchef schon darüber berichtet, dass die Fernsemannschaft Auslöser für den Aufenthalt vor dem Lager war, vergeigt er ganz dabei, den voraussichtlichen Sendetermin zu nennen.
Er hätte natürlich Christa Labouvie auch fragen können, was sie über die Geschichte des Zwischenlagers weiß. Hat er aber nicht. Er hätte dies und viel mehr von ihr erfahren und nachrecherchieren können (Doch dafür reicht ein Anruf nicht.):

1) 1991 Antrag GNS (Essener Geselllschaft für Nuklearservice, Prokurist Dieter Rittscher) auf den Bau eines Zwischenlagers Nord bei Lubmin am Greifswalder Bodden.
Die Hallen sollen im Endausbau 200 000 Kubikmeter Fassungsvermögen haben - genug, um den gesamten Atommüll der 19 deutschen Meiler aufnehmen zu können.
( aus dem Spiegel vom 1.1.96 entnommen:  Damals hieß es u.a. seitens der EWN :
"Wir lagern nur atomare Abfälle aus ostdeutschen Kraftwerken ein", versichert Manfred Meurer von den Energiewerken Nord, die das Lager zusammen mit der GNS betreiben. Auch die Schweriner Landesregierung beteuert, ausschließlich Ost-Atommüll werde angenommen - der Stoff aus West-Kernkraftwerken gehe nach der Wiederaufarbeitung in Frankreich und England weiterhin zur Lagerung ins nordrhein-westfälische Ahaus oder ins niedersächsische Gorleben
Doch Wolfgang Baumann, Jurist des Bundes für Umwelt- und Naturschutz in Deutschland (BUND), weiß aus internen GNS-Unterlagen, daß das Zwischenlager eine "universelle Anlage zur Bearbeitung und Verarbeitung radioaktiver Abfälle und Reststoffe" sein soll.
Zudem heißt es im GNS-Antrag zum Bauvorbescheid vom 15. Juli 1992, das Zwischenlager Nord werde auch für "konditionierte Abfälle aus der Wiederaufarbeitung von Kernbrennstoffen" gebaut. In den Hallen 6 und 7 sind die Krananlagen schon für großdimensionierte Transportfässer wie etwa Castor-Behälter ausgelegt.
Somit wäre die Anlage tauglich für nahezu jede Art von Strahlenmüll - auch aus Westdeutschland oder Atomfabriken wie La Hague in Frankreich oder Sellafield in England. "Eine einzige Bundesanweisung verpflichtet die Mecklenburger, ihr Lager zu öffnen", sagt Jurist Baumann. Sein Fazit: Die Landesregierung versuche, "die Bevölkerung einzulullen".

2) Angela Merkel verbürgte sich 1995 dafür, dass kein Westmüll ins Zwischenlager Nord kommt und
bestätigte das 1998 noch einmal (Spiegel 9/98):
"Das Argument, daß die Bevölkerung in Greifswald so ruhig sei, soll nicht für CastorTransporte aus dem Westen herhalten."
1994 wurde das ZLN eine Tochtergesellschaft der EWN, alleiniger Geschäftsführer: Dieter Rittscher.
2000 wurde das Bundesfinanzministerium alleiniger Gesellschafter der EWN
2003 stellte das WAK (Karlsruhe) einen Antrag an die EWN zwecks Zwischenlagerung von Kernbrennstoffen (KNK)
2003 übernahm die EWN als Tochtergesellschaft das Kernforschungszentrum Jülich
2006 übernahm die EWN als Tochtergesellschaft das Kernforschungszentrum Karlsruhe inklusive der Wiederaufarbeitungsanlage (WAA), diverser Versuchsreaktoren und jede Menge hochradioaktiven Atommüll, den die Energieversorgungsunternehmen  (EVU) in den 70er und 80er in Karlsruhe entsorgen durften. 16 KG Plutonium und 500 KG Uransowie etliche ebenfalls radioaktive Spaltprodukte sind übriggeblieben, 40 % davon sind Industriemüll (abgebrannte Brennelemente) aus den Leistungsreaktoren der EVU (von wegen Forschungsmüll!).
Abgespalten zur Wiederverwendung wurden in Karlsruhe von 1971 bis 1990 letztlich 1,1 Tonne (waffenfähiges) Plutonium (für eine Atombombe braucht es 5 KG) und 200 Tonnen Uran.
Zu 90 % gibt es dabei höchstgefährlichen Abfall aus der Wiederaufarbeitung. Wahrscheinlich gab es bis 1995 dann so viel abgespaltenes Plutonium auf dem ganzen Globus, dass man das ganze Weltall damit wegsprengen könnte und so stellte man die Wiederaufarbeitung von Kernbrennstoffen bei uns in Deutschland am 1.7.2005 ein.
Die Rückbaukosten für die Wiederaufarbeitungsanlage Karlsruhe (WAK) betragen insgesamt knapp 3 Milliarden Euro, die EVU hatten sich schon früh ihren finanziellen Beitrag auf 1 Milliarde DM deckeln lassen, die restlichen Milliarden Euro zahlen wir, die Steuerzahler. Billiger Atomstrom!
Im September 2004 teilte die EWN unserer Landesregierung mit, dass sie beabsichtige, Kernbrennstoffe aus Forschungsvorhaben des Bundes einzulagern. Es sei ein Änderungsantrag nach § 6 AtG zwecks EInlagerung von hochradioaktiven West-Abfällen im ZLN in Vorbereitung. Am 26.4.2005 wurde dieser Antrag an das Bundesministerium für Strahlenschutz (BfS) gestellt.
Während wir in Greifswald 2006 im Verwaltungsgericht Greifswald saßen, und uns aufregten, dass die "Pufferlagerung" von schwach- und mittelstrahligem Abfall von 2 Jahren vorher und nachher auf 5 Jahre vor- und nachher per Gerichtsbeschluss verlängert wurde, uns immer und immer wieder von allen Seiten versichert wurde, nur der KKW-Müll aus Rheinsberg und Lubmin lagert im Zwischenlager, da waren alle schon längst damit beschäftigt, uns zum "Atomland Ost" machen zu wollen (Merkel 96/s. Spiegel)
Die Halle ist nicht umsonst so groß gebaut worden, sie stellt das größte atomare Zwischenlager Europas dar!
Unser kleines Minizwischenlager ist nämlich dreimal so groß wie Gorleben. Die Halle in Gorleben ist 180 Meter lang und 38 m breit.
Die Halle in Lubmin ist ebenfalls 180 m lang, aber 120 m breit! (8 Hallen à 15 m Breite). Mehr als dreimal so breit wie Gorleben.
Gorleben sollte auch erst nur ein regionales Zwischenlager werden, hat man der Bevölkerung vorgelogen, dann wurde es für 1500 Tonnen  radioaktive Spaltabfälle genehmigt, 1995 wurde die Genehmigung auf 3800 Tonnen (mit 420 Castor-Stellplätzen) erweitert. Insgesamt darf es eine Menge an Radioaktivität aufnehmen, die der hundertfachen Menge Radioaktivität entspricht, die in Tschernobyl freigesetzt wurde.
Unsere genehmigte Menge im ZLN beträgt derzeit 585 Tonnen, das sind nur 17 mal so viel Radioaktivität wie beim GAU in Tschernobyl 1986.
Da unsere Halle aber dreimal so breit ist wie die in Gorleben, passt demnach auch dreimal so viel rein wie in Gorleben.
Das entspräche dann ca. der 300-fachen Menge an Radioaktivität, die in Tschernobyl freigesetzt wurde.
Im Spiegelbericht/1.96 steht, dass lt. Angaben des Antragstellers durch die Lüftungsklappen (Lüftungskonvektion) ständig radioaktive Teilchen in die Luft geblasen werden.
Tritium, Krypton, Iod und Kohlenstoff 14 z.B.
Da die Castoren auch noch ständig Gamma- und Neutronenstrahlen abgeben, entweichen diese Strahlen auch duch die Lüftungsklappen in die Biosphäre (s. Anhang Strahlenbelastung am Castor).
Zur Gammastrahlung werden übrigens seit 1950  Krebssterblichkeitsregister in Hiroshima und Nagasaki geführt. Die internationale Strahlenschutzkommision (ICRP), welche allen Ländern und Nationen Empfehlungen zu Grenzwerten gibt, hatte 1977 den Grenzwert auf 1,25 Todesfälle bei 1 Sievert Gammastrahlung empfohlen.
Seitdem gilt dieser Wert in unserer deutschen Strahlenschutzverordnung.
1990 musste die gleiche Kommission ihre Grenzwerte korrigieren: auf 10 % Todesfälle pro Sievert. (Näheres dazu im Anhang Strahlenbelastung am Castor)
Doch unsere Bundesregierung weigerte sich bisher, den neuen Grenzwert zu übernehmen. Das ist billigende Inkaufnahme von 8mal soviel Krebstoten durch gesetzgeberische Ignoranz.
Gamma- und Neutronenstrahlen, die in unseren Körper eindringen und ihn durchdringen, übertragen einen Teil ihrer Energie auf die Zellen. Diese können mitsamt ihren Kernen dadurch abgetötet oder geschädigt werden.
Geschädigte Zellen können verschiedene Krankheiten auslösen wie z.B. Leukämie, Krebs, Schädigung des Erbgutes, Missbildung entstehenden Lebens.
Übrigens hat demnach jeder Polizist, der dicht (70 cm Entfernung) an der Ummantelung des Castors steht,  seine Jahresdosis binnen 9 Minuten erreicht.
Neutronenstrahlen werden übrigens von der Strahlenschutzkommission mit einer 50 mal höheren Schadwirkung als Gammastrahlen bewertet.
Unsere Bundesregierung legt den Faktor 10 mal mehr Schadwirkung zu Grunde und das unverändert seit 1959!!!  Und noch 1969 dachte man, dass der Atommül im Jahre 2000 in einen Kasten mit 20 mal 20 mal 20 Metern passt (s. Zitat Weizsäcker/Anhang).
Übrigens hat man den Bürgern in Jülich versprochen, dass bis 2015 in Jülich wieder "grüne Wiese" hergestellt ist, die Genehmigung dort läuft 2013 aus. Was Marlies Philipp, Sprecherin der EWN, bereits zu folgender Bemerkung veranlasste: "Es gibt zu Lubmin keine Alternative":
In Karlsruhe wird den Bürgern die "grüne Wiese" bis 2023 versprochen.
Der Plan ist, dass alles hierher zu ins Zwischenlager kommt.
Im Frühjahr kommen erst einmal die 16 KG Plutonium und die 500 Kg Uran aus Karlsruhe, aufgelöst in 16.000 Liter Salpetersäure und verglast in 130 Kokillen. Die kommen dann in 5 Castorbehältern ins Zwischenlager gerollt, mit insgesamt der Hälfte der Menge an Radioaktivität wie die in Tschernobyl entwichene Höllenbrut.
Das wird keinen kaltlassen, denke ich. (Da irrt sie. Es wird viele nicht berühren. Die OZ tut das ihre dazu, denn Ruhe ist die 1. Bürgerpflicht.)
In den neunziger Jahren kalkulierte man (Wer?), dass in unseren bevölkerungsarmen Regionen der Widerstand gering sein werde, der arme Osten dankbar für jeden Arbeitsplatz sei.
Dass der Widerstand bei uns schwieriger zu organisieren ist als der in Stuttgart, das erschließt sich einem leicht.
Aber dass wir ganz ruhig bleiben, hat Angela Merkel so erst einmal verkannt.
Die Märchenstunde ist vorbei. Wir sollten klarsehen.

1 Kommentar:

  1. Anonym23.11.10

    Auch wenn es den obrigkeitsgläubigen Dummschreibern der OZ nicht gefällt, auch in OVP gilt das Grundgesetz. Die Versammlungsfreiheit ist nun "bedauerlicherweise" ein Grundrecht (Artikel 8 Abs.1 GG, Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.), welches nicht von irgendwelchen Behörden genehmigt werden muss. Demos sind lediglich anzumelden! Daneben gibt es aber noch das Recht zur Spontandemo. (Unter Spontanversammlungen versteht man Versammlungen, die sich aus aktuellem Anlass ohne vorherige Organisation bilden. In verfassungskonformer Auslegung des § 14 Abs. 1 VersG besteht für diese Versammlungen keine Anmeldepflicht, da es zum einen keinen „Leiter“ iSv. § 14 Abs. 2 VersG gibt, zum anderen das Grundrecht aus Art. 8 Abs. 1 GG für Spontanversammlungen sonst leerliefe (BVerfGE 69, 315, 350 f. – Brokdorf).)
    Die "Schuldige" hat auch keine "Klage am Hals". Erstmal muss ermittelt werden und anschliessend wird evtl. Anklage erhoben.

    AntwortenLöschen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.

Google