22. Januar 2009

Merkel macht Mut - den Zeitungsleuten

So weit ist es schon gekommen: Die Kanzlerin als Mutmacherin für Zeitungsleute!

Die Kanzlerin hat gesprochen und es war Balsam in den Ohren von Verlegern und Chefredakteuren und Redakteuren und ich weiß nicht, in wessen Ohren noch.
Ich habe mich nur gewundert, schon über diese Schlagzeile auf der sog. Medien/Kulturseite:
Kanzlerin auf Zeitungskongress in Schwerin: Mit Heimatbindung die Welt erklären
Dass Merkel den Zeitungsleuten das erklären muss, ist schon seltsam. Wenn die Zeitungsleute das schon wüssten, hätten sie doch sagen können: "Stopp, Kanzlerin, erzählen Sie uns Neues: wäre sonst schade um die Zeit."
Offenbar wussten sie es aber nicht. Hätten sie den Spruch sonst zur Schlagzeile gemacht? Erhebt sich die Frage, was das für Zeitungsleute sind, denen so etwas gesagt werden muss?

Diesen Satz hätte sich der Aufschreiber verkneifen sollen:
Vor Ort, so Merkel, werde lokal gedacht und lokal gelesen.
Was soll denn das heißen? Das ist Schwachsinn! Weg mit Merkels Redenschreiber!
Und warum wurde dies den Lesern wiedergekäut verkauft?:
Merkel ... zeigte sich überzeugt, dass die Tageszeitungen auch künftig eine wichtige Rolle spielen werden. In der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise zeige sich, dass es auch von Medien abhänge, wie die Menschen Halt finden und sachliche Informationen erhielten, die der Orientierung in einer globalisierten Welt dienten. Das gelte auch für die lokale Berichterstattung. Aber eben nicht mehr allein. Für lokale Blätter sei wichtig, die Heimatbindung zu beachten und gleichzeitig die Welt zu erklären, meinte die Bundeskanzlerin.
Wichtige Rolle, aha! Künftig, soso, wie lange ist das?
Brauchen die Zeitungsleute das Schulterklopfen mit dem Spruch: "Wird schon werden, Jungs.", das sie nur zu gern an ihre Leser weitergeben?

Wie die Menschen Halt finden, erklärte die Gott-Kanzlerin auch. Das ist natürlich Blödsinn, der freudig nachgeplappert wurde. Was den Leuten Halt gibt, ist mehr Gerechtigkeit und ein gut gefülltes Portemonaie. Besonders Letzteres spüren sicher auch viele OZ-Leser. Statt Merkels Gequatsche nachzuplappern, weil es so gut in den Verlags-Kram passt, sollte lieber informiert werden:

Die Realeinkommen sind im vorigen Jahr in Deutschland wieder gesunken. Damit sind die Reallöhne fünf Jahre in Folge geschrumpft, trotz des Aufschwungs bis Anfang 2008. Eine solch lang anhaltende dürftige Lohnentwicklung gab es in der wiedervereinigten Republik noch nie.

Dies hatte nicht Merkel gesagt, sondern ist aus dem Kongressprogramm:
Das 17. Forum des Lokaljournalismus befasst sich unter dem Motto "Print mal Online = Qualität hoch zwei" mit dem Verhältnis der Tageszeitungen zum Internet.
Was die OZ unter Qualität versteht, können Sie in über 5000 Blog-Einträgen nachlesen. Das Motto zeigt, wie unfähig die Beteiligten sind, ihre Arbeit kritisch zu sehen und die Zeichen der Zeit, z.B. die Auflagenentwicklung, zu erkennen.

Auf der Titelseite war zu lesen:
Merkel: Lokalzeitungen sind unverzichtbar
Lokalzeitungen sind nach Ansicht von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) unverzichtbar für die demokratische Meinungsbildung. Von ihnen erwarteten die Menschen Orientierung, sagte Merkel zum Auftakt des Forums Lokaljournalismus gestern in Schwerin.
Ich erwarte zuerst eine ausgewogene Berichterstattung, der die Leser anmerken, dass sie von Leuten gemacht wird, die tatsächlich hier zu Hause sind.

Ich erwarte, dass Themen behandelt werden, die für die Mehrzahl der Leser von Bedeutung sind. Ein nicht gefundener Meteorit kann es nicht sein und seitenweise Berichte über Landtagswahlen in anderen Bundesländern auch nicht.

Ich erwarte, dass geschrieben wird: "Hier nehmen wir Partei.", wenn für eine Seite Partei genommen wird, statt Parteinahme in Berichten zu verstecken.

Ich erwarte, dass Kontakte nicht nur zu Bürgermeistern, Unternehmen und Behörden bestehen, sondern vor allem zu Lesern.

Ich erwarte, dass Leserpost nicht als Spaltenfüller dient, sondern ernst genommen wird und Anlass ist, dargestellten Dingen nachzugehen und Kritik anzunehmen und Kritikwürdiges zu ändern.

Ich erwarte, dass Redaktionen Fehler eingestehen.

Ich erwarte nicht, dass Leser erfahren, was wirklich passiert. Davon erfahren Zeitungen so gut wie nichts.
In meiner Anfangszeit als Redakteur strahlte der Lokalchef mitunter, wenn er meinte, eine ganz besonders üble Verhältnisse aufdeckende Geschichte im Blatt zu haben. Ich dachte an den einen oder anderen Immobilienhai und unterstellte ihm diesen Spruch, den er sich aufsagte, wenn er sich schlafen legte: "Achwiegut, dass niemand weiß, wie ich diese Stadt bescheiß'."

So und nun können Sie in Kommentaren schreiben, was Sie von der OZ erwarten. Vielleicht findet sich ein zahlender OZ-Leser, der die Erwartungen zusammenfasst und der OZ-Chefredaktion übermittelt.

4 Kommentare:

  1. Anonym22.1.09

    Frau Merkel erwartet von der Presse, dass die Welt aus der Sicht der CDU erklärt wird. In voreilendem Gehorsam wird es doch in der OZ-Ausgabe Greifswalds seit Jahren praktiziert.
    Also: Auftrag erfüllt!

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  2. Anonym22.1.09

    Ich verweise hier nur auf meinen Kommentar, den ich, zum gestern geschriebenen Eintrag "Kanzlerin spricht aus, worüber OZ schweigt", geschrieben habe.
    Übrigens auch ein lesenswerter Artikel, was so unsere Angie angeht.

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  3. Was heißt unsere Angie? Meine ist es nicht einmal ironisch gemeint.

    Was den lesenswerten Artikel betrifft, verweise ich vor allem auf die Kommentare dazu.
    Es fehlen klare Beweise; solange bleibt der Artikel ein dünnes Süppchen.

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  4. Ich finde, deine Erwartungen an die OZ sind einfach nur selbstverständlich und treffend und ich nehme ganz erstaunt wahr, dass es diese Selbstverständlichkeit wohl kaum noch gibt, sonst würdest du es nicht erwarten , sondern das Selbstverständliche würde tagtäglich als prinzipieller Leitgedanke in der OZ umgesetzt. Scheinbar sehen sich Journalisten inzwischen so fremdbestimmt, dass sie ihre Gedanken mit den Äußerungen von Politikern aus welcher Partei auch immer bestätigen lassen müssen um sie haben und äußern zu dürfen.
    Ob da ein Chefredakteur grundlegend etwas ändern kann, wage ich ganz vorsichtig zu bezweifeln, besonders dann, wenn er selbst in dem Sog einer fremdbestimmten und damit zutiefst undemokratischen Abhängigkeit verhaftet ist. Der an anderer Stelle von dir erwähnte Unterschied zwischen Blogger und Journalist , wobei letzterer auch über das schreiben muss, was er eigentlich nicht will, wird mir immer deutlicher.

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