23. August 2011

"Zumeist in Unkenntnis ..."

Da ich mich weigere, nachgeplappertes Vorwahlgequatsche freiwillig zu lesen, machte mich ein Leser auf einen gestern erschienenen Text der Greifswalder Modernisiererin aufmerksam (Danke!):
Steven Fothke (27) tritt als Einzelbewerber für den Landtag an. Die OZ stellt alle Direktkandidaten an ihrem Lieblingsort vor.
Das ist jener Kandidat, den die OZ nicht zum OZ-Podiumsgespräch eingeladen hatte, dann aber wenigstens zu Wort kommen ließ, da er als Zuschauer an der Runde teilnahm.
Dazu der Hinweisgeber:

... dass die OZ Fothke anfangs völlig ignorierte und er persönlich in der Redaktion auftauchen musste, um einen Termin für ein Treffen für den heutigen Artikel auszumachen (von sich kamen die nicht drauf): "Die OZ stellt alle Direktkandidaten an ihrem Lieblingsort vor".
Die Aufschreiberin teilte auch dies mit:
Das Konzept vom bedingungslosen Grundeinkommen ist nicht neu. 
(Nicht nur das. Es wurden auch verschiedene Modelle entwickelt.)
Da hat sie Recht. Mal lesen, was sie als nicht neu (Ist nicht neu alt?) ansieht:
Anfang 2009 sprach sich die Greifswalderin Susanne Wiest in einer Online-Petition an den Bundestag dafür aus und sorgte damals für regionale und überregionale Schlagzeilen. Seitdem werden ähnliche Konzepte in mehreren Parteien diskutiert.
Zweieinhalb Jahre ist also nicht neu. Hätte sie bildlich über den ostvorpommerschen Tellerrand geblickt, hätte sie erfahren, dass die Idee sogar schon ziemlich alt ist:

... in den 1920er Jahren sprach man in Australien, Großbritannien, Kanada und Neuseeland von Social Credit. ...

Ist das nicht alt genug? Nicht, dann dies:

... In Thomas Morus’ Roman Utopia (1516) wurde statt der Bestrafung von Dieben vorgeschlagen, allen Menschen des Landes eine Art Lebensunterhalt zu zahlen, um Diebstahl vorzubeugen. ...

Die ganze Geschichte der Forderung ist hier nachzulesen, ausführlich u.a. hier.Danach ist auch dieser Satz Quatsch:
Seitdem werden ähnliche Konzepte in mehreren Parteien diskutiert.
Denn:

Zumeist in Unkenntnis der US-amerikanischen Diskussion werden Ende der 70er Jahre erstmals Grundeinkommensdebatten in Europa begonnen. In Dänemark wird 1978 ein Buch über den „Bürgerlohn“ zum Bestseller. In den Niederlanden werden die „Einkommensgarantie“ und das „basisinkomen“ kontrovers diskutiert und schließlich 1985 (allerdings in einer abgespeckten Variante) vom angesehenen „Wissenschaftlichen Beirat für Regierungspolitik (WRR)“ zur Einführung empfohlen. Auch in Frankreich und Deutschland finden, wenn auch mit geringerem Umfang, Grundeinkommensdebatten statt. ... In der BRD wird durch die Herausgabe des  Bandes „Befreiung von falscher Arbeit“ durch Thomas Schmid 1984 eine Diskussion entfacht, die zunächst vor allem in der Ökologiebewegung aufgegriffen wird. Aber auch bekannte Wissenschaftler zählen zu den Befürwortern; im Umfeld der Grünen wirbt etwa Claus Offe später für die Idee, im sozialdemokratischen Umfeld betont Fritz Scharpf die Bedeutung des Vorschlags. Seit 1985 setzt sich zudem der Volkswirtschaftler Joachim Mitschke verstärkt für die Idee in Form einer Negativsteuer ein. Sein Negativsteuermodell wurde 1994 von der FDP ...

Falls die Greifswalder Autorin jedoch die Zeit nach 2000 und nur Deutschland meinte, dieser Hinweis:

Ein ausführliches Interview mit dem Einzelbewerber Fothke lesen Sie hier. Dort weist Fothke in einem Kommentar hierauf hin:

Unsere Absicht lag nicht darin das Solidarische Bürgergeld Modell mit der Idee des Bedingungslosen Grundeinkommens gleichzusetzen. Wenn man den heutigen OZ-Artikel liest, könnte man ebenfalls meinen, wir vertreten das Solidarische Bürgergeld. Dies ist ein Trugschluss und eine verkürzte und unzureichende Version des Interviews. Das Solidarische Bürgergeld hat Übereinstimmungen im Menschenbild und dem erweiterten Arbeitsbegriff mit anderen Konzepten des BGEs. Es bietet nur eine Form der möglichen Finanzierung. Wir wünschen uns, dass alle Konzepte in Betracht gezogen werden, wenn es darum geht tatsächlich ein BGE einzuführen. Auf meinem Blog ist zu sehen, dass ich die Idee des BGEs vertrete und nicht ein Konzept bevorzuge.
Was ich allerdings nicht verstehe: Warum schreibt ein Einzelkandidat in der Mehrzahl?

6 Kommentare:

  1. Anonym23.8.11

    Die heutigen großen Macher wissen, daß immer das Beste den Schlechtesten zufällt und sind darüber glücklich, daß alles oder das Meißte an ganz Wenige verteilt wird, so wie T. Morus es vor einigen Jahrhunderten schrieb.
    Wir gehen bitteren Zeiten entgegen und die miesesten Typen fallen durch ihre Fiesheit nach oben.
    Wahlen, die etablierten Parteien werden den Untergang und die drohende Not der Masse der
    Menschen nicht aufhalten.
    Eine Mitteilung und ein Aufkleber mit einem Spruch der Jusos macht mich doch nachdenklich und ich werde wahrscheinlich umschwenken.
    Der Spruch

    -Stell dir vor, es sind Wahlen und nur Nazis gehen hin.-

    Nicht daß die grossen Parteien überzeugend sind und auch von denen sind viele Mitglieder rechts angehaucht, aber Nazis, Gott bewahre.
    Wie diese Typen schon aussehen.... Glatzköpfe, nichts auf dem Kopf und nur Schund im Kopf,
    brutal und gemeingefährlich.
    Dann lieber doch wählen gehen und wenns die Piraten sind.

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  2. Anonym23.8.11

    Wer kann schon mit 600 Euronen sein Leben bestreiten? Nur Lebenskünstler und davon haben wir schon Millionen!

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  3. Er sprach in der Mehrzahl, weil er eng mit seiner Verlobten in Sachen BGE zusammenarbeitet, auch über die Wahl hinaus. Fothke stellt ganz klar die Idee des BGE über seine Kandidatur, weswegen er mit der Mehrzahl seine Verlobte miteinschloss. Das macht ihn mir sehr symphatisch, genauso wie der Plan, Ende September (nach der Wahl) mit einer BGE-Vortragsreihe in der Greifswalder Museumswerft zu starten.

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  4. Anonym23.8.11

    Es muss darum gehen, den bestehenden Wohlfahrtsstaat durch sinnvolle Reformen weiterzuentwickeln und ihn an die veränderten Arbeits- und Lebensbedingungen einer postindustriellen Gesellschaft mit selbst im Wirtschaftsaufschwung nur geringfügig sinkender Massenarbeitslosigkeit, bis in die Mittelschichten reichenden Verarmungstendenzen, Millionen prekären Beschäftigungsverhältnissen sowie ökologischen Verwerfungen anzupassen. Ein bedingungsloses Grundeinkommen würde den Sozialstaat aber nicht „vom Kopf auf die Füße stellen“ (Reinhard Loske, grüner Bundestagsabgeordneter), sondern ihm den Todesstoß versetzen. Denn er könnte die neben der Armutsbekämpfung für einen Wohlfahrtsstaat konstitutiven Funktionen der Lebensstandardsicherung im Falle sozialer Existenzrisiken (z.B. Krankheit, Invalidität und Arbeitslosigkeit) sowie des Ausgleichs zwischen Arm und Reich noch unzureichender als bisher oder – wenn die Sozialversicherungen zugunsten des Grundeinkommens entfallen, wie in den einflussreichsten Modellen vorgesehen – gar nicht mehr erfüllen.

    Da nicht nur die Armut, sondern parallel dazu auch der Reichtum in einer früher unbekannten Weise wächst, ist die soziale Polarisierung neben der Prekarisierung das Kardinalproblem unserer Gesellschaft und vornehmlich mehr ausgleichende Gerechtigkeit nötig. Sowenig eine Kopfpauschale im Gesundheitssystem der unterschiedlichen finanziellen Leistungsfähigkeit von Krankenversicherten gerecht würde, sowenig eignet sich jedoch das Grundeinkommen, um die tiefe Wohlstandskluft in der Gesellschaft zu schließen.


    http://www.weltderarbeit.de/start72.pdf

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  5. Anonym23.8.11

    Er kann ja meinetwegen sonstwie sympathisch sein, aber bei seinen Gedanken an's Bedingungslose Grundeinkommen, s.o., muss einem das kalte Grauen kommen!

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  6. Anonym24.8.11

    Heute auf den Nachdenkseiten

    - Niedriglohnland Ostseeküste -

    40,8 % arbeiten im Niedriglohnsektor.

    Da hat die Hartz Kommission eine Vorlage erarbeitet, die greift und die Reichen reicher werden lässt und die Armen ärmer.
    Das soll für ganz Europa gelten und noch schlimmer.
    Wir können uns wirklich bei den Volksverrätern bedanken, die das zu verantworten haben.
    Was wurde den Menschen zur Einführung des Euro nicht alles versprochen-alles Lüge.

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