5. Oktober 2009

Billigjournalismus im Billiglohn-Land

Da kommentierte sich jemand in Rage:
Immer mehr Dumpinglöhne
Schamlos
... Unanständig niedrige Löhne sind in Deutschland längst keine Ausnahme mehr. Mecklenburg-Vorpommern liegt mit 155 Meldungen über miese Arbeitsbedingungen und dürftige Einkommen ganz weit vorn. ...

Dazu kommt: Steuern kann nur zahlen, wer ein auskömmliches Einkommen hat. Geradezu unverschämt mutet es in diesem Zusammenhang an, dass Arbeitgeber ihren künftigen Beschäftigten oft schon beim Einstellungsgespräch offerieren, den angebotenen Niedriglohn doch einfach durch Hartz-IV-Leistungen aufstocken zu lassen. Heißt im Klartext: Damit mein Geschäft floriert, wird knallhart der Staat in die Pflicht genommen. ...

Jedoch: Wer Löhne zahlen will, die bei weitem nicht zum Leben reichen, der muss das mit seinem Gewissen, seinem Vorstand oder seinen Aktionären abmachen - nicht aber mit der Staatskasse. Und wer die Not von Arbeitnehmern schamlos und systematisch ausnutzt, muss im Zeitalter des Internets damit rechnen, benannt zu werden.
Witzig ist der letzte Satz mit dem Internet, weil der Link zu der Webseite fehlt - und eine Bankrotterklärung des Mediums OZ, weil Sie solche Geschichten in der OZ sehr selten finden.
Eine Bankrotterklärung ist es auch, weil ich

- an die Schönschriften über die Eröffnungen von Anrufzentralen in der OZ denken muss, Schönschriften, denen jede Recherche fehlte, und heute nun:
Callcenter-Agent
"Ich bin 25 Jahre alt, habe zwei Kinder, vier und sieben Jahre, und lebe mit meinem Partner zusammen. Ich arbeite seit einiger Zeit im Callcenter für fünf Euro brutto die Stunde - ein Witz. ..."
- und weil sogar Stellenanzeigen der Anrufzentralen in redaktionelle Beiträge verwandelt wurden.
Deshalb ist der Kommentar eine einzige Scheinheiligkeit.

Sowohl dem Kommentar und dem Bericht ebenfalls fehlt der wichtige Hinweis, dass viele Betriebe seit Jahren nur noch Leute einstellen, die einen Lohnkostenzuschuss von den Arbeitsagenturen erhalten. Insofern ist die Aussage verwunderlich, Arbeitgeber hätten nichts mit der Staatskasse abzumachen. Natürlich schädigt solch ein Arbeitgeber die Staatskasse, allein schon wegen entgangener Steuern, die Arbeitnehmer mit einem normalen Lohn zahlen würden. Es hätte einfach geschrieben werden können, dass das Verhalten der Arbeitgeber durch gesetzliche Regelungen gedeckt ist. Es müssen also Gesetze verändert werden; Appelle an das Gewissen sind allzu kindisch.

Der Bericht, Titelgeschichte, hat die Schlagzeile:
Gewerkschaft warnt: MV wird Billiglohn-Land
Darüber ließe sich streiten. Ich meine, M-V ist längst Billiglohn-Land, so wie es deshalb auch das Armenhaus Deutschlands ist. Oder ab wann ist ein Land eines der Billiglöhner? Der Autor sollte nicht von seinem Bruttoeinkommen ausgehen, das etwa doppelt so hoch ist, wie das eines Durchschnittsverdieners in M-V.

Es zeigt sich auch an dem Bericht, dass in der OZ die Recherche die Ausnahme ist, Billigjournalismus im Billiglohn-Land. Daten über Arbeitseinkommen sind auf den Internetseiten der Statistischen Ämter nachzulesen. Doch da muss erst eine Gewerkschaft Krach schlagen und mit Material versorgen.

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