4. Februar 2007

Anderthalb Millionen Arbeitslose verschwiegen



Die Ausrisse zeigen, wie die OZ im Jahr 1990 berichtete, als die Arbeitslosenquote zwischen vier und sechs Prozent lag.

Vor wenigen Tagen bescherte die Zeitung ihren Lesern neue Daten über den Arbeitsmarkt:

Lichtblick am Arbeitsmarkt

Die Zahl der Arbeitslosen ist in MV von Dezember bis Januar saisonbedingt um 9,1 Prozent auf 169 245 gestiegen. Im Vergleich zum Januar vorigen Jahres nahm die Erwerbslosigkeit jedoch um 9,7 Prozent ab ...

Die Usedom-Peene-Zeitung überschüttete die Leser im übertragenen Sinn mit einem Zahlensalat, der jeder Beschreibung spottet. Hier einige Beispiele aus dem Zahlenmonstrum:

Wie die Agentur für Arbeit Stralsund gestern mitteilte, liegt die Quote der Erwerbslosigkeit in Ostvorpommern bei 22,6 Prozent. Zum Vergleich: Hansestadt Greifswald 19,2 Prozent, Stralsund 21,2 Prozent, Landkreis Rügen 20,7 Prozent und Kreis Nordvorpommern 20,9 Prozent.

... Ende Januar 2007, so geht es aus der Statistik hervor, befanden sich 10 745 Bedarfsgemeinschaften im Leistungsbezug der Agentur. 3019 sind es im Bereich Wolgast, 837 im Bereich Gützkow, 1867 im Bereich Koserow, 1679 in Greifswald und 3187 in Anklam. „In den Bedarfsgemeinschaften leben 16 182 Arbeitslosengeld II-Empfänger und 4698 Sozialgeldempfänger“.

Stimmen diese Zahlen? Wahrscheinlich nicht. Jedermann kann im Arbeitsmarktbericht, Januar 2007, der Arbeitsagentur Ostvorpommern wie in allen Vormonaten nachlesen:

Die Anzahl der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen (Alg II-Empfänger) und der Bedarfsgemeinschaften kann sich rückwirkend für vergangene Monate erhöhen, da die Bearbeitungsdauer bei Neuanträgen und veränderten persönlichen Verhältnissen zu Verzögerungen in der Datenerfassung führt.

Noch nie las ich in der OZ, ob die Zahlen verändert wurden.

Andere kümmern sich darum und kommen zu interessanten Erkenntnissen. So las ich in der taz Nr. 8167 vom 5.1.2007, Seite 12:

Keiner weiß, wie viele Arbeitslose und Hartz-IV-Empfänger es gibt, sagt der Arbeitsmarktexperte Paul Schröder. Denn die Hartz-Gesetze haben zu einem statistischen Chaos geführt, in dem niemand mehr den Durchblick behält

Bei der Arbeitslosenzahl sind die Gestaltungsspielräume aber extrem groß. Ein Beispiel: Wenn man die Bezieher von Arbeitslosengeld I und II zusammenrechnet, dann hat sich ihre Zahl letztes Jahr nur um 257.000 vermindert. Aber die registrierten Arbeitslosen sind - wie gesagt - um knapp 600.000 gesunken. Hier tut sich eine Lücke von rund 340.000 Menschen auf, die irgendwie aus der Arbeitslosenstatistik verschwunden sind.

Und wohin sind diese Menschen verschwunden?

Das weiß keiner genau. Denn bei Hartz-IV-Empfängern (Gemeint sind Alg 2-Empfänger.) wird nicht erfasst, warum sie nicht - oder nicht mehr - als Arbeitslose registriert werden. Darüber gibt es bisher keine Statistik - oder sie wird nicht veröffentlicht.

... Es ist nicht einmal klar, wie viele Hartz-IV-Empfänger es wirklich gibt. Nach drei Monaten kommen revidierte Zahlen heraus - die bisher immer um 4 bis 5 Prozent höher lagen, als in den Arbeitsmarktberichten ausgewiesen wurde. Aber selbst diese revidierten Daten sind zum Teil so unplausibel, dass die Bundesregierung sie 2007 nicht herangezogen hat, um die Eingliederungsmittel für Hartz-IV-Empfänger zu verteilen.

... Man könnte zum Beispiel denken, dass wenigstens der Zuwachs an sozialversicherungspflichtigen Stellen eine relativ verlässliche Zahl sei. Aber es irritiert, dass immer mehr Beschäftigte mit regulären Jobs nebenher noch Hartz-IV (Gemeint ist Alg 2.) beziehen müssen. Offenbar nehmen vor allem Teilzeitstellen und Niedriglohnjobs zu.

Ein letzter Test: Die Bundesagentur meldet stolz, dass nur 43 Prozent aller Erwerbslosen Langzeitarbeitslose seien.

Das stellt sogar das wissenschaftliche Institut der Bundesagentur in Frage. Ein Langzeitarbeitsloser muss nur einen 1-Euro-Job machen oder eine Trainingsmaßnahme absolvieren, dann gilt er wieder als "kurzzeitig arbeitslos".

Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung Nürnberg (www.iab.de) stellte bereits im IAB-Kurzbericht, Ausgabe Nr. 21 / 14.11.2005, fest:

Die „Stille Reserve“ gehört ins Bild vom Arbeitsmarkt

Die Zahl der registrierten Arbeitslosen legt den größten Teil des hiesigen Beschäfti­gungsproblems offen. Mit Blick auf die gesamte Unterbeschäftigung und das gesamtwirtschaftliche Arbeitsplatzdefizit hat sie jedoch nur begrenzte Aussage­kraft. Zum vollständigen Bild fehlt die sogenannte „Stille Reserve“.


Das IAB schätze deren Zahl auf 1,6 Millionen Menschen.


... Kurzarbeiter und Beschäftigte in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen sowie in Strukturanpassungsmaßnahmen sind (statis­tisch) erwerbstätig (ebenso sog. Ein-Euro-Jobber). Deshalb werden sie nicht zur Stillen Reserve gezählt.


Hier noch ein Hinweis darauf, dass auch Regionalzeitungen regelmäßig den Auswuchs solchen sog. Aufschwunges benennen:


Ohne Zweifel: Das sind dann wirklich gute Nachrichten, die zeigen, dass die Konjunktur doch noch den Arbeitsmarkt erreicht ...
Dennoch muss es erlaubt sein, sich die Daten genauer anzusehen. Und da zeigt sich dann sehr rasch ein brisanter Trend: Viele der neu entstehenden Arbeitsplätze bieten den Beschäftigten nur Niedrig-löhne. Sie verdienen so wenig, dass es zu einem menschenwürdigen Leben zu oft nicht reicht.
Die Entwicklung ist nicht neu. Und sie wurde von der Politik teils gefördert.


... indirekt von einigen Medien auch.

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