17. September 2006

lupes Wahlaufruf an die Chefredaktion

Aufmacher, OZ-Titelseite:

Wer macht das Rennen?
Liebe Chefredaktion,
ich weiß es auch nicht. Mich interessiert es auch nicht. Jedoch weiß ich, dass eine Frage, wenn sie schon in der Zeitung gestellt wird, auch beantwortet werden muss. Das wäre Journalismus.
Lieber begnügen Sie sich mit Spekulationen. Dazu brauche ich keine Tageszeitung. Aus ihr will ich über das Tagesgeschehen informiert werden und nicht über Gerüchte.

Chefredakteur MANFRED VON THIEN schrieb auf der Titelseite:

Bitte, gehen Sie wählen!
Klar Herr Chefredakteur,
wenn Sie bitten, werden die unentschlossenen Wahlberechtigten und die Wahlverweigerer losstürmen und jetzt schon ihre Stimmen abgegeben haben. Glauben Sie das wirklich? Könnte es nicht sein, dass Sie mit ihrer langatmigen Bitte den Lesern auf den sog. Senkel gehen, vor allem den wahlwilligen?

... Nach übereinstimmenden Prognosen dürfte die NPD in den Landtag einziehen. ... Morgen ist der Tag der Wahrheit.
War bisher jeder Tag ein Tag der Lüge?

Dann erweist sich, ob es am frühen Abend zwei schlechte Nachrichten für Mecklenburg-Vorpommern gibt oder ob Vernunft und Weitsicht der mündigen Bürger siegen. Und das kann nur bedeuten: Wählen gehen!
Den Braunen die rot-schwarz-gelb-grüne Karte zeigen
(Ganz nebenbei: Es treten vier Mal so viele Parteien an! Heißt das, die anderen Parteien seien für die Rechten oder verhalten sich neutral?)

Auch Sie versuchen, den Wahlverweigerern ein schlechtes Gewissen einzuschreiben. Das hätten Sie lassen sollen, um stattdessen darüber zu berichten, dass es unseren gewählten Politikern noch der Regierung samt ihren unter- und nachgeordneten Stäben nicht gelungen ist, die NPD zu verbieten.

Wenn die Partei verfassungsfeindlich ist, hätte das längst geschehen müssen.
Da sie nicht verboten werden konnte, waren entweder keine Gründe vorhanden, die NPD zu verbieten, oder die NPD-Vertreter haben sich schlauer angestellt als alle unsere gewählten Politiker, Regierenden und ihre Mitarbeiter zusammen. Deshalb müsste diese Leute, weil sie versagt haben, das schlechte Gewissen plagen, dass Sie Ihren Lesern einschreiben wollen. Das ist bedenklich.

Herr VON THIEN,

in der Grimmener Zeitung war zu lesen:

112 000 Bürger an den Wahlurnen
Solch ein Unsinn wird in der Lokalredaktion geschrieben, denn der erste Satz lautet:

112 000 Bürger aus Nordvorpommern und Stralsund sind im Wahlkreis
24 am Sonntag bei den Landtagswahlen stimmberechtigt.
Der Redakteur ist ein Hellseher, der den Lesern weismachen will, dass es eine 100-prozentige Wahlbeteiligung geben wird. Oder der Mitarbeiter war nicht einmal imstande, zwischen Wahlberechtigten und ihre Stimmen Abgebenden zu unterscheiden. Wollen Sie das dulden?

Herr VON THIEN,
Der Lokalchef in Greifswald, REINHARD AMLER, schrieb:


Die Betrachtung zum Wochenende
Demokratie lebt vom Miteinander
Er schrieb:

„Gehen Sie wählen!“ ... Fast kann man (Wer ist man?) derartige Appelle nicht mehr hören. Erstens, weil es für mich zur Selbstverständlichkeit gehört, wählen zu gehen. Und zweitens, weil ich weiß, dass derartige Ermahnungen oft nicht viel nützen. ...
Was sagen Sie denn dazu, nachdem Sie einen umfangreichen Wahlaufruf geschrieben haben?

Übrigens: Obwohl der Autor nach eigenem Bekunden weiß, dass Wahlaufrufe wenig nützen, schrieb er selbst einen, eben diese Betrachtung zum Wochenende. Doch das ist nicht alles.
Glaubt man (Wer ist man?) Umfragen, sind weit über die Hälfte der Menschen, auch in unserer Region, nicht bereit, morgen zur Wahl zu gehen. Das ist schwer zu verstehen ...
Was hat es mit journalistischem Handwerk zu tun, wenn ein Lokalchef gesteht, dass er etwas nicht verstehen kann, aber offensichtlich niemanden nach dessen Motiven fragte. Hätte er das getan, hätte er sie aufschreiben und sogar verstehen können.
Ist jener ein guter Journalist, der nicht nachfragt und dann noch schreibt, er könne etwas nicht verstehen?

Herr VON THIEN,
der folgende Absatz verfügt über eine seltsame Logik, die wiederum daraus entspringt, dass der Autor nicht genügend Betroffene befragte und sich dennoch eine Meinung bildete:

Ich kann jeden verstehen, der keine Arbeit hat, und pessimistisch in die Zukunft schaut. ...
Gerade die Arbeitslosen müssten wählen, wenn sie meinten, andere Volksvertreter und Regierungen könnten das Land besser führen?

Schließlich bieten sie (Wahlen) auch die Möglichkeit des Wählens oder Abwählens von Regierungen. Das kann und sollte jeder Wahlberechtigte morgen tun. Ohne nochmals erinnert zu werden.
Herr VON THIEN,
war das kein Wahlaufruf? Natürlich war er das, nur ein wenig verbrämt und damit schlimmer als einer, der offen als Aufruf gekennzeichnet ist.

Worüber ich kein Wort in der OZ las:
Die Verzweiflung von SPD, PDS und CDU über den möglichen Einzug der NPD ist so groß wie ihre Hilflosigkeit. "Arbeitslosigkeit ist keine Entschuldigung dafür, NPD zu wählen", grummelte Ringstorff während des Fernsehduells.

Was in der Berichterstattung der OZ völlig vergessen wurde:

Hintergrund: Wo Rechtsextreme in Länderparlamenten sitzen
Umfragen zufolge könnte die rechtsextreme NPD in Mecklenburg-Vorpommern in den Landtag einziehen. Wenn die Partei den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde schafft, wäre Mecklenburg-Vorpommern das derzeit vierte Bundesland mit rechtsextremen Abgeordneten im Landtag.

Erwähnenswert wäre auch dies:

Kein Geld gegen Rechts
Das Familieministerium bereitet ein neues Programm gegen Rechtsradikale vor. Bewährte Projekte fallen diesen Plänen zum Opfer.

Herr VON THIEN,
gehören solche Informationen auch zu einer umfassenden Berichterstattung? Allemal!
Wer hat in der OZ jemals danach gefragt, wie schädlich der Einzug der Rechten für die Tourismus in Bremen, Brandenburg und Sachsen ist und das Ergebnis veröffenlicht? Der Schaden für den Tourismus war doch eines Ihrer Argumente für den Gang zur Wahlurne. Halten Sie Ihre Verfahrensweise für guten Journalismus?

Herr VON THIEN,
reihen Sie sich nicht länger ein in die Koalition der Totschweiger. Sie richten damit mehr Schaden an, als wenn sie über das berichten lassen, was wirklich in diesem Land passiert.
Mit Festberichterstattung und Berichten z.B., die Mitte des Monats das Wetter des Vormonats beschreiben, ist es natürlich nicht getan.

PS.:
Es könnte einen Grund für die OZ geben, diese Gehen-Sie-wählen-Sprüche zu verbreiten. Nur wer wählt, interessiert sich für das Ergebnis, das er u.a. in der OZ nachlesen kann und schon Stunden vorher aus dem Internet, dem Fernsehen und dem Rundfunk erfahren wird. Das ist natürlich trotzdem ein Alibi für eine mehrseitige Berichterstattung, wie sie für Journalisten einfacher nicht sein kann: Die Zahlen werden geliefert. Niemand muss selbst rechnen. Und alle Politker sind gierig darauf, ihre Meinung über den Wahlausgang zu verbreiten.

Genau so wurde mit der Fußball-WM verfahren: Den Lesern wurde vorgegaukelt, ganz Deutschland sei im sog. WM-Fieber. Obwohl das nicht stimmte, war das für die Redaktionen Grund genug, kritikfrei die Zeitung mit WM-Berichten aller Art im Übermaß zu füllen.

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