Über die Ostsee-Zeitung erhielt ich Post von der Kanzlerin. Als höflicher Mensch antworte ich ihr gern. Die Antwort ist lang. Doch vielleicht habe ich nie wieder Gelegenheit, der Kanzlerin zu schreiben; deshalb tue ich es heute ausführlich.
Ich sende die Antwort am 3. Januar an Frau Merkel. Bis dahin haben Sie, liebe Blog-Leser, Gelegenheit, mit Kommentaren den Brief gehaltvoller zu machen. Ich füge Ihre Ergänzungen gern ein und streiche auch, wenn ich übertrieben haben sollte.
Ein gesundes neues Jahr wünscht
lupe
Liebe Frau Merkel,
Post von Ihnen, welch ein Tag! Doch als ich Ihren Brief las, zweifelte ich, ob Sie auch mich meinten. Natürlich wussten Sie nicht, dass ich weder Phrasen mag noch logische Fehler und falsch gewählte und überflüssige Adjektive, dafür aber viel von ganzen Sätzen halte.
Bevor ich Sie mit Kleinigkeiten langweile, antworte ich auf das große Ganze, das Sie im Blick hatten, als Sie den Brief über- und unterschrieben.
Sie wollen mit mir Deutschland nach vorn bringen. Bevor ich mitmache, verraten Sie mir bitte, wo für unser Land vorn ist. Teilen Sie mir wenigstens die Himmelsrichtung mit, damit ich nicht in die falsche Richtung ziehe oder schiebe, trete oder zerre. Sehen Sie, schon wird es schwierig, denn ich weiß weder wohin noch auf welche Weise ich Deutschland nach vorn bringen soll. Womit ich das Land nach vorn bringen soll, haben Sie mir geschrieben: „Mit Mut und Menschlichkeit." Weder ist das ein Satz noch können Sie mir einreden, dass Mut und Menschlichkeit die Mittel sein werden, mit denen ich Deutschland bewegen könnte.
Was erwarten Sie noch von mir, liebe Frau Merkel? Sie möchten, dass ich Gott bin, denn Sie glauben an Deutschland und seine Menschen, also auch an mich. Das müssen Sie nicht, auch wenn sie vermuten, in mir steckten Chancen, was ich übrigens nicht verstehe. Wo soll ich mit dem Suchen beginnen?
Glauben Sie wirklich, ich nehme Ihnen ab, dass Sie mit der großen Koalition die Probleme lösen und die Herausforderungen meistern können? Jede Regierung wollte die Probleme lösen, keine schaffte es. Ich glaube Ihnen nicht, dass Sie die - also alle - Probleme lösen werden. Da ist Ihnen oder dem, der Ihnen den Brief schrieb, die Fantasie durchgegangen. Und dass Sie die Herausforderungen meistern werden, kann ich nicht ernst nehmen, denn Sie wissen noch gar nicht, wozu ich Sie herausfordern werde.
Zu Ihrer ersten Zwischenüberschrift: Sie sieht gut aus, ist aber schlecht gewählt, denn ich ahnte schon, bevor Sie mir schrieben, dass Sie für mehr statt für weniger Arbeit sind. Nun, mit dem Akzeptieren ist es wie mit dem festen oder sonst einem Willen. Sie werden auch die Zahl der Arbeitslosen nicht wesentlich beeinflussen.
Und was es bedeutet, dass „mehr Menschen in Arbeit kommen", müssen Sie mir noch erklären. Ich kann in einen Sturm oder in Wut geraten, aber in Arbeit? Wie stellen Sie sich das vor?
Was meinen Sie mit einem neuen Klima für Unternehmen? Hat das mit der Weltklimakonferenz zu tun? Wollen Sie die Erderwärmung aufhalten, damit Unternehmen nicht überhitzen? Es wird Ihnen nicht gelingen. Sparen Sie lieber Ihre Kraft für das Lösen von Problemen.
Ihre zweite Zwischenüberschrift taugt so wenig wie die erste, denn ich erwarte von Ihnen, dass Sie keine unnötigen Reformen wollen. Was ist eine Reform? Darüber müssten wir uns noch verständigen. Wenn Sie jedoch meinen, die vier Hartz-Spargesetze seien Reformen, gibt es zwischen uns keine Verständigung.
Unverständlich bleibt mir, durch welche Veränderungen Sie meinen Wohlstand und mein hohes soziales Niveau bewahren können. In den vergangenen Jahren nahm die Zahl der Armen, der von Armut Bedrohten und der Reichen zu, obwohl ich bereit war für Veränderungen. Was immer Sie auch tun werden, Sie müssen den Wohlstand und das soziale Niveau der meisten Deutschen verringern. Das ist die Wahrheit, die sie nicht verbrämen sollten.
Die dritte Zwischenüberschrift ist ebenso schlecht gewählt wie alle anderen, denn natürlich sind Sie für mehr Wachstum und nicht für weniger. Viel weniger Wachstum ist auch nicht möglich, denn das wäre Schrumpfen. Allerdings ist fraglich, ob immer mehr Wachstum auf Dauer gut für Deutschland und übrigens auch für das Klima ist.
Mit einer Formulierung diesem Absatz bin ich nicht einverstanden: Sie wollen in „bessere Verkehrswege" investieren? Investieren Sie lieber in schlechte Wege, damit sie besser werden. Das hat Sinn.
Sie sind für eine bessere Zukunft. Glauben Sie mir, nie wäre ich darauf gekommen, dass Sie für eine schlechtere Zukunft sind. Ach übrigens, reicht nicht auch eine gute Zukunft? Ich bin bescheiden.
Ihnen geht es um mehr Kinder? Jetzt möchte ich Ihnen nicht zu nahe treten, denn ich habe mich einfach reproduziert.
Eine Überraschung war Ihr Satz: „Überraschen wir uns damit, was möglich ist und was wir können." Liebe Frau Merkel, kennen Sie sich so schlecht, dass Sie sich mit dem überraschen, was Sie können? Oder meinten Sie: Überraschen wir einander...? Das verstehe ich natürlich.
Nun noch einmal zurück zum ersten Absatz Ihres Briefes. Sie sind „oft gefragt worden, warum ich dieses Land regieren möchte". Ich hätte hier die Antwort vermutet: Ich will Probleme lösen. Doch es folgt stattdessen der Unsatz: „Bei allen Problemen, vor denen wir zurzeit stehen." Habe ich das Prädikat übersehen?
Liebe Frau Merkel, schicken Sie ihren Redenschreiber, wohin Sie wollen. Lassen Sie ihn jedoch nicht mehr für Sie arbeiten. Falls Sie den Brief selbst erdachten: Schreiben Sie mir bitte nie wieder. Lassen Sie uns lieber in Ruhe über das sprechen, was Sie von mir wünschen.
In dem Gespräch würde ich Ihnen sagen:
Frau Merkel, im Jahr 2003 versuchten mehrere Verlage ihren Lesern mit Sonderausgaben Mut zu machen und damit Geld zu verdienen. Zuversicht verbreiteten sie nicht. Ob Verlage damit Geld verdienten, weiß ich nicht. Wahrscheinlich wurde nichts daraus, sonst gäbe es weitere Sondernummern, gefüllt mit Erbaulichem, das unser Land nach vorn bringen soll.
Ende 2005 versuchten verschiedene Menschen mir weiszumachen, ich sei Deutschland. Natürlich glaube ich solchen Unsinn nicht, denn ich bin weder Gott noch Deutschland. Doch nehme ich an, dass die Werbeagenturen Vorteile von der Aktion hatten. Tausende Blogger machten sich im Internet lustig über die Aktion, die es als „Denn du bist Deutschland" schon im Dritten Reich gab.
Doch Sie ließen sich von den Reinfällen nicht abschrecken. Ihnen wird es mit dem Brief an mich ähnlich ergehen wie den beiden anderen Aktionen. Sie nützen allein den Werbeagenturen und jenen, die sich über Ihren Brief lustig machen.
Hätten Sie oder wer auch immer den Brief nicht geschrieben und mir eine der drei Millonen Euro Porto geschenkt, brauchte ich Ihnen nicht zu antworten und könnte Sie entspannt anspornen, alle Probleme mit Mut und Menschlichkeit zu lösen. Darüber hinaus hätten Sie immer noch zwei der drei Millionen Euro in der Staatskasse. Uns beiden wäre damit gedient gewesen.
Denken Sie bitte vor Ihrem nächsten Brief an meinen Vorschlag.
Freundliche Grüße
lupe
Sehr schön!
AntwortenLöschenLeider wird er nicht bundesweit für 3 Mio. abgedruckt.
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