9. Januar 2006

Gelegenheit verpasst

Nick Vogler berichtete im Mantel der OZ:

Schwerer Gang leicht gemacht

Die Arbeitsagenturen ringen um besseren Kundenservice. ...
OZ hat den neuen Service am Beispiel Rostock schon mal geprüft. Unangemeldet in der Arbeitsagentur, 16.25 Uhr. Sieben Kunden stehen in der Warteschlange vor mir. ... Nach vier Minuten bin ich an der Reihe. ... Um mich als künftig Arbeitssuchender zu melden, werde ich in die „Eingangszone F“ verwiesen. Zwei mal links um die Ecke, schon stehe ich in einem Großraumbüro mit Wartebereich. ... Nach drei Minuten wird mein Name aufgerufen.
... Insgesamt seien 15 000 Arbeitslosengeld-I- und Arbeitslosengeld-II-Empfänger in freie Stellen vermittelt worden. Im Vorjahr war es nur die Hälfte davon. Nach Angaben der Regionaldirektion waren in Mecklenburg-Vorpommern im Dezember 6400 offene Stellen gemeldet.
2400 mehr als im Dezember des Vorjahres.
...

Mir ist nicht klar geworden, was der Autor mit dieser Schilderung bezweckte. Vor dem entscheidenden Augenblick brach er seine Erkundung ab. Niemand erfährt, was Arbeitslose, besonders Langzeitarbeitslose, erleben können, nachdem sie ihren Antrag auf Alg 1 oder 2 abgegeben haben. (In Köln hätte er erleben können, dass es Zufall ist, ob er Alg 2 erhält oder nicht, denn 50 Prozent aller Bescheide waren falsch.) Plötzlich wurde Herr Vogler unpersönlich:
Freundliche Beratung, ungestörte Termine, leere Flure, mehr Vermittlungen in Arbeit. Alles in Butter? Keineswegs. 165 000 Arbeitslose waren im Dezember in MV gemeldet. Fast 65 000 Arbeitslosengeld-Empfänger, rund 100 000 Menschen, die unter Hartz IV fallen. Besserer Service bringt nicht automatisch jeden in Arbeit. Es gibt weiter Kritik an den Agenturen. Allein im Dezember beschwerten sich 235 Kunden in Schwerin, 310 in Stralsund, 271 in
Rostock und 176 in Neubrandenburg.
Rund zwei Drittel der Kritiken beziehen sich auf Höhe und Dauer der Förderung, aber auch auf Qualität der Information und Beratung, sagt Schmitt. 25 bis 30 Prozent der Beschwerdeführer würden organisatorische Regelungen“ kritisieren, zum Beispiel Öffnungszeiten und telefonische Erreichbarkeit.
...

Zum Schluss wird es kuschelig:
Freundlich verabschiedet Tatiana Krüger den neuen Kunden. Mein Blick bleibt an zwei Gläsern auf dem Schreibtisch hängen, gefüllt mit
Süßigkeiten. „Ein kleiner privater Service“, erklärt die Beraterin lachend
. ...

Wer jetzt nicht danach giert, arbeitslos zu werden, verpasst etwas.

Was Nick Vogler in seinem Gute-Laune-Artikel verpasste:
Er hätte diesen gerichtlichen Hinweis nehmen und in der Rostocker Arge auf den Tisch legen sollen, um herauszufinden, mit wie vielen Ein-Euro-Sklaven ein individuelles Eingliederungskonzept vereinbart wurde. Es wurde festgestellt:
... Die Praxis der ARGE, Langzeitarbeitslosen Eingliederungsmaßnahmen ohne ein konkretes, individuell auf sie bezogenes Eingliederungskonzept zuzuweisen, ist nach Auffassung des Vorsitzenden der Kammer 53 rechtlich nicht haltbar.

Er hätte auch diesen Sachverhalt prüfen können:
Viele Job-Center haben erst zum Jahresende ein „Arbeitsmarktprogramm 2005“ zur Eingliederungsförderung vorgelegt; teilweise fehlt es noch immer.

Die DGB-Studie vom November 2005 müsste jeder Redakteur kennen, der über soziale und Arbeitsmarkt-Themen schreibt.

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