18. Januar 2011

"Leiharbeit als strategisches Instrument der Profitsteigerung"

Ich habe lange gebraucht, um mich von diesem Artikel in der gestrigen Greifswalder Zeitung zu erholen:
Leiharbeit im Blick der Forschung
Falsch! Richtig muss es heißen: Im Blick eines Forschers. Unten lesen Sie warum es so heißen muss.
Greifswalder Psychologen gehören zu einem Team, das bessere Bedingungen für eine Flexibilisierung der Arbeitswelt anstrebt. Eine Idee ist die Vermittlung von Leiharbeitern durch die Arbeitsagenturen. ...
Ich habe den Reklameartikel für das mit Steuergeld geförderte Forschungsprojekt gelesen und an keiner Stelle gefunden, wer denn die Vermittlung von Leiharbeitern bezahlen soll, wenn die Agenturen das übernähmen. Sollen die das nebenbei machen und soll das aus dem Etat der Agenturen bezahlt werden? Doch das hat mich nicht sonderlich irritiert, ist nur eine der unzähligen Ungenauigkeiten in der OZ.

Aufgemerkt habe ich schon beim Lesen der besseren Bedingungen für die Flexibilisierung der Arbeitswelt. Es geht definitiv nicht um bessere Bedingungen für Leiharbeiter.
Die „atmende Fabrik“, die die Zahl ihrer Beschäftigten je nach Auftragslage verändert, sei die Zukunft, meinen Ökonomen ...
Ich weiß nicht, wie viele Ökonomen das meinen (was nicht heißt, dass sie es wissen); im Artikel kommt nur einer zu Wort und ein Unternehmer, der das selbstverständlich gut findet. Ein Leiharbeiter wurde nicht befragt. Wozu auch? Für einen einseitigen Artikel ohne Hintergrund reicht das allemal.

Auch wenn der Anschein erweckt wird: Es geht nicht um bessere Bedingungen für Leiharbeiter, sondern für Wirtschaftsunternehmen, die Arbeitskraft von Leiharbeitern so umfassend wie möglich auzunutzen, denn:
Ziel sind Handlungsempfehlungen für die Industrie, „die Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen fördern, ohne die gesundheitliche und soziale Integrität von Beschäftigten zu verletzen.“
Richtig kernig ist der Satz:
„Das Normalarbeitsverhältnis verliert an Bedeutung“, sagt der Greifswalder Professor Manfred Bornewasser. 
Ist ja nicht falsch, was der Mann sagte, könnte aber falsch verstanden werden, da der Redakteur nicht nachfragte.
Erhebt sich nämlich die Frage: Welche Bedeutung hat das Normalarbeitsverhältnis denn jetzt?:

Die meisten Beschäftigungsverhältnisse in der Leiharbeit dauern IAB-Direktor Möller zufolge nur kurz. Rund die Hälfte endet bereits innerhalb von drei Monaten. Der Anteil an allen Beschäftigten liegt bei zwei Prozent: Derzeit gibt es gut 750.000 Leiharbeiter

Also sind 98 Prozent aller Arbeitsverhältnisse normale; im Gegensatz zu Bornewasser, dem der OZ Auskunftsgebende, der laut OZ meinte:
Nur drei von zehn Leiharbeitern schaffen den Übergang in ein festes Beschäftigungsverhältnis.
... ohne dem OZ-Redakteur Auskunft zu geben, was ein festes Beschäftigungsverhältnis ist. Das Forschungsinstitut der Bundesagentur für Arbeit (IAB) hat dies herausgefunden:

Für Langzeitarbeitslose erweist sich die Aufnahme von Leiharbeit als eine Option, die den Zugang zum Arbeits­markt erleichtert. Sie erhöht die spätere Beschäftigungswahrscheinlichkeit  jen­seits der Branche. Allerdings schaffen es nur 7 Prozent der vormals Arbeits­losen, im Zweijahreszeitraum nach der Leiharbeit überwiegend beschäftigt zu bleiben und dabei die Leiharbeit kom­plett hinter sich zu lassen.

Zum Schluss verstieg sich Bornewasser hierauf:
Man müsse Unternehmern und Beschäftigten gerecht werden. 
... also beiden Seiten; hört sich gut an. Und das geht so:
Gleicher Lohn, beispielsweise durch Mindestlöhne, verteuere Zeitarbeit, weil der Vermittler auch etwas bekommen müsse, gibt Bornewasser zu bedenken. Seine Idee: Darüber nachdenken, ob die Arbeitsagenturen nicht die Organisation von Leiharbeit übernehmen können. Firmen könnten eigene Personaldienstleister haben, so etwas habe auch ml & s. „Für den sozialen Status kann die Vergabe von Zertifikaten, beispielsweise auf den nächsten frei werdenden Stammplatz, interessant sein“, schätzt der Psychologe ein. „Auch so etwas gibt es schon.“
Das weiß der Mann alles schon (und seine Erkenntnisse sprechen bildlich für sich selbst), obwohl er noch bis 2012 daran forscht.
Leiharbeit würde tatsächlich dann einen Sinn haben, wenn Leiharbeiter nicht weniger, sondern mehr verdienen würden als Festangestellte, weil sie höhere Risiken haben, weil Wanderarbeit schwieriger ist als eine Feststelle in einem Betrieb. Das würde Missbrauch sofort unterbinden.

Wie wenig Leiharbeiter verdienen, ist hier berichtet worden, interessierte den Autor jedoch nicht:

Über die Löhne von Leiharbeitern ist schon viel spekuliert worden. Jetzt hat die Bundesagentur für Arbeit (BA) in einer großen Einkommens-Analyse eine harte Zahl vorgelegt: Das mittlere Einkommen einer Vollzeitkraft in der Zeitarbeit betrug 2009 gerade einmal 1393 Euro im Monat – brutto und inklusive aller Zuschläge und Jahresleistungen. Das ist erstaunlich wenig, wenn man bedenkt, dass viele Leihkräfte in der Industrie arbeiten, wo die mittleren Löhne der Stammkräfte mehr als doppelt so hoch sind.
Die meisten Zeitarbeiter haben eine Ausbildung. Trotzdem verdienen sie oft weniger als unqualifizierte Festangestellte. ...

Worauf das alles, inkl. Bornewassers Auslassungen, hinausläuft, ist ganz einfach zu erkennen:

Schaue man sich die Jahreseinkommen an, zeige sich: Die Realeinkommen der ärmsten Bürger seien seit 1999 um zehn Prozent gesunken, die Einkünfte der reichsten fünf Prozent dagegen um 23 Prozent gestiegen.
Das IAB kommt zu diesem Schluss:
Unternehmen, die Leiharbeiter als 'Ad-hoc-Ersatz’ oder als 'Flexibilitätspuffer’ nutzen, verfolgen das Ziel, ihre Lohnkosten zu reduzieren, indem sie beispielsweise die Kosten für den Personalersatz minimieren oder beim Anstieg des Auftragsvolumens Festanstellungen umgehen. Diese Nutzungsstrategien spielen auch weiterhin eine Rolle. Aber inzwischen lässt sich darüber hinaus ein Form- und Funktionswandel der Leiharbeit beobachten. Es wird von immer mehr Unternehmen versucht, Leiharbeit verstärkt als strategisches Instrument der Profitsteigerung zu nutzen, das dauerhaft eingesetzt wird, alle Arbeitsbereiche umfasst und zu einer Verflechtung von Stamm- und Leiharbeitskräften führt.
Von all dem kein Wort in der OZ.

Im Übrigen finde ich es gruselig, dass ein Professor, der jahrzehntelang von Steuergeld gelebt hat, ein gutes Einkommen hat, der einen und nur einen unkündbaren Arbeitsplatz und eine anständige Altersversorgung hat, sich so äußert.

Noch schlimmer ist, dass die OZ so etwas veröffentlicht, ohne jeglichen Hintergrund zu veröffentlichen. Wieder hat sie sich als Vervielfältigungsmaschine für Propaganda hergegeben.

7 Kommentare:

  1. Anonym18.1.11

    Leiharbeit ist ein Übel. Ich weiss, dass solche Firmen gern "Helfer" einstellen und suchen.
    Sie finden es gruselig, was der Professor äussert, der vom Steuergeld lebt.
    Wenn ich mir so überlege, wer von Steuergeldern lebt und nicht schlecht, damit meine ich die Damen und Herren Politiker, dann behaupte ich doch glatt und rot zu werden, uns regiert ein Gruselkabinett.

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  2. Anonym18.1.11

    Das behaupte ich natürlich "ohne" rot zu werden. So ein Käse aber auch, vor lauter Gruseln vor der Politik vergesse ich Wörter im Satz.
    Wird Zeit, das ich heute nicht mehr an die Gruselpolitik denke.

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  3. Edward18.1.11

    gut recherchiert, lupe. Ich hoffe, jetzt hast du dich erholt.
    Schade, dass Eckhard nicht die Zeit dafür hatte, den Professor ebenso vorzuführen. Diese Drittmittel-Forscher! Manchmal mache ich mir echt Sorgen um das Niveau der Hochschul-Forschung. Offenbar kann man heute nicht mal mehr den Professoren glauben. Muss alles überprüfen.

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  4. Anonym18.1.11

    @Edward
    Der ehemalige realsozialistische Kader Eckhard wird niemanden, schon gar keinen Angehörigen der Greifswalder Uni, vorführen. Es sei denn, es handelt sich um den ehemaligen Greifswalder Immobilienspekulanten Abs. Sorgen um das Niveau der Hochschul-Forschung muss man sich nicht machen. Seit eher gehört das Aufstellen von Thesen und Antithesen sum wissenschaftlichen Geschäft. Sorgen muss man sich um das Niveau der OZ.

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  5. Anonym19.1.11

    Grundsätzlich muss natürlich betont werden, dass "Jobs" heutzutage schon lange keine sozialversicherungspflichtige Vollbeschäftigung mehr bedeuten. Alles wird als Job definiert, solange der Arbeitslose nicht mehr in der Arbeitslosenstatistik auftaucht. Ob Ein-Euro-Jobs, Leiharbeit, Aufstocker, Mini-Jobs, Praktika oder Maßnahmen. Beschäftigung im Sinne von "beschäftigt sein" ist alles.

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  6. "Gleicher Lohn, beispielsweise durch Mindestlöhne, verteuere Zeitarbeit, weil der Vermittler auch etwas bekommen müsse, gibt Bornewasser zu bedenken. "

    Was für ein Quark. Der Aufschlag für den Vermittler verteuert die Zeitarbeit nicht. Der Ausleiher spart eine Menge Direktionskosten, ggfs. betriebliche Alterversorgung, Kündigungsschutzklagen. Könnte man noch weiter fortsetzen.

    Leiharbeit, wenn sie denn ehrlich bezahlt wird, kann durchaus sinnvoll sein. Solange sie aber nur für die Interessen der einen Seite, nämlich der Ausleiher, optimiert wird, ist es nur ein Instrument zur Ausbeutung bzw. Gewinnmaximierung.

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  7. Anonym19.1.11

    Leiharbeit, Minijobs, 1-Euro-Sklaven und was es noch so alles gibt, wird hauptsächlich von der FDP und der CDU immer noch für richtig gehalten, nicht zu vergessen, von den rot-grünen eingeführt.
    Der eine oder andere ist ein "bisschen" gegen 1-Euro-Sklaven.
    In die Geschichte zurückgeschaut, weil zur Zeit der Kommunismus ein Greuel ist (in vielen Ländern, so wie er praktiziert wurde nicht zu unrecht) waren es nicht die Liberalen, die die Sklavenhalterei anpriesen?
    Höre ich die hohen Herren und Damen der FDP, auch der CDU aus dem Bundeskabinett zu diesen Themen, wird mir übel.
    Für menschenwürdige Arbeitsverhältnisse sind diese Typen nicht.
    Rot-Grün auch nicht, sonst hätten sie diesen Mist erst gar nicht eingeführt.

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