19. Februar 2010

Über Oberflächliches und das Verbreiten von Propaganda

Wie oberflächlich auch lange Artikel sein können, belegt heute Marcus Stöcklin mit diesem Artikel:
Wenn Arbeit sich nicht mehr lohnt
... Laut einer neuen Statistik des Bundes der Steuerzahler erhält ein Geringverdiener in der Gastronomie (verheiratet, zwei Kinder) 1176 Euro netto. Ein vergleichbarer Hartz IV-Empfänger würde 1653 Euro beziehen (inklusive Wohnkosten). ...
Viele Wörter über die geradezu heroische Arbeitsmoral von Geringverdienern verschwendete der Autor, wobei ich mich frage, ob es Arbeitsmoral ist, die jemanden für 238 Euro netto Vollzeit arbeiten lässt. Der erste Gedanke wäre doch, den Arbeitgeber zu fragen, ob das stimmt, und wenn es stimmt, nachzuhaken, auch bei der Arge, die den Lohn die Brosamen aufstockt. Aber erwartet das wirklich noch jemand von einem OZ-Redakteur?

Zu der Rechnung noch dies und Sie wissen, was ich mit oberflächlich meine:

... „Wer kellnert, verheiratet ist und zwei Kinder hat, bekommt im Schnitt 109 Euro weniger im Monat, als wenn er oder sie Hartz IV bezöge.“

Zwar stimmt der Vergleich zwischen Lohn und den rund 1600 Euro, die eine vierköpfige Hartz-IV-Familie erhält. Doch bei einer Kellnerin mit 1400 Euro brutto kommt am Ende mehr heraus, wenn sie Hilfen beantragt. Netto bleiben ihr rund 1100 Euro. Weil das zwar für sie selbst, aber nicht für ihre Kinder reicht, kann sie bei der Familienkasse Kinderzuschläge und beim Sozialamt Wohngeld beantragen. Die Berechnung beider Hilfen ist sehr individuell. Die Familienkasse Bochum hat diesen fiktiven Fall mit der Annahme von 600 Euro Miete berechnet: Die Kellnerin hätte Anspruch auf 280 Euro Kinderzuschlag und 340 Euro Wohngeld. Sie käme damit auf 1720 Euro. Außerdem dürfte sie 368 Euro Kindergeld behalten, das auf Hartz IV angerechnet wird. Arbeiten lohnt sich für sie doch. ...
Hervorhebung von mir

Der gesamte Artikel ist lesenswert, im Gegensatz zu dem der OZ.

Über einem weiteren Artikel auf der Blickpunktseite steht:
OECD-Studie kritisiert: Kaum Anreize für Langzeitarbeitslose
Dieser Gedankengang kommt in dem langen Text nicht vor:

Allerdings hat die OECD-Studie wie auch die Diskussion darüber eine starke Schlagseite, die Konzentration auf die finanziellen Anreize für Hartz-IV-Bezieher, eine Arbeit aufzunehmen. Ohne auf Anreizstrukturen an sich einzugehen, sollte doch aber zuerst zur Kenntnis genommen werden, dass die Konjunktur auch neue Arbeitsplätze in größerem Umfang hergeben muß. Der Arbeitsmarkt ist nicht getrennt von der Dynamik der Güter- und Kapitalmärkte zu sehen. Selbst das beste Anreizsystem kann 3,6 Mio. Arbeitslose, besser 4,8 Millionen Unterbeschäftigte nicht auf 1 Mio. offene Arbeitsstellen (optimistische Annahme) verteilen.

Und so etwas durfte natürlich nicht fehlen:
Die Angst vieler Durchschnitts- und Besserverdiener vor einem Absturz in die Langzeitarbeitslosigkeit ist derweil weitgehend unbegründet. Wie aus einer Untersuchung des Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA) hervorgeht, erzielte nur einer von tausend „Hartz IV“-Empfängern vor dem Verlust des Arbeitsplatzes ein monatliches Bruttogehalt von über 3500 Euro.
Na dann ist ja alles gut, oder doch nicht? IZA? Da ist höchste Vorsicht geboten, allerdings nicht in der OZ, dem kritischen Hochwertblatt:

Das Institut zur Zukunft der Arbeit ist ein Arbeitgeber-dominierter Lobby-Think-Tank voller einschlägiger Politiker/innen, Arbeitgeber-Lobbyisten/innen und Aktivisten der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft. Der berüchtigte Arbeitsmarktpolitik-Direktor Hilmar Schneider wollte sogar mal Arbeitslose versteigern lassen, um die Kosten für Sozialausgaben gegenzufinanzieren. Wenn solche „Studien“ aus dieser Ecke kommen, kann das eigentlich nur unseriös sein.
Wie seriös es dort zugeht, erkennen Sie hier:
Das DIW schreibt in einer Studie gestern: „Die zunehmende Spreizung der bedarfsgewichteten Haushalts-Nettoeinkommen war Folge einer Polarisierung der Einkommensverteilung hin zu den Rändern und einer entsprechenden Schrumpfung der mittleren Einkommensklassen.“ Das IZA schreibt nun, dass der Absturz des Mittelstands ein Märchen ist. Der Präsident des DIW und der Direktor des IZA ist Klaus F. Zimmermann, um die Koordination der Forschung in seinen beiden Instituten scheint er sich nicht sehr zu kümmern.
Aussagekräftig wäre nur die Verfolgung des Verlaufs vom Arbeitslosengeld I über den Abbau der Ersparnisse und des Vermögens bis zur Bedürftigkeit und einem Anspruch auf Arbeitslosengeld II. Dass vor dem Absturz ins Arbeitslosengeld, die Betroffenen auch Billigjobs angenommen haben ist sicherlich der traurige Regelfall.
Hätte das IZA Recht, wäre übrigens das Lamento von Westerwelle über die Leistungsträger in der Mitte, um die sich angeblich niemand kümmert, als wohlfeile Propaganda entlarvt.

Über all das erfahren Sie aus der arbeitgeberfreundlichen OZ nichts.

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