15. Februar 2010

Übers Voraussagen

Am Wochenende fragte mich ein Blogleser, warum ich denn mit der Bloggerei nicht aufhöre. Die Qualität der OZ werde schlechter und es würden immer weniger Exemplare verkauft. Das sei leicht zu erkennen und deshalb nicht mehr zum Mitansehen.

Da hatte er zwar im Prinzip recht, jedoch nicht im Detail. Ich fragte ihn also, ob er gern Spielfilme anschaut. Ja, bestätigte er, sehr gern. Er bejahte dann, dass er auch Filme anschaut, in denen am Ende nicht alles gut ausgeht, für OZ-Leser sind das Filme ohne Happy End.
Und Katastrophenfilme?
Doch, auch, meinte er. Er könne beim Zuschauen raten, wer denn als Nächster dran glauben muss. Er möge das Zwiespältige, einerseits das Mitfiebern, ob es dieser oder jener schafft, das Filmende zu erleben und andererseits das berechnende, vorausschauende Aussortieren von Personal, das voraussichtlich laut Drehbuch Fehler begeht und darum zu sterben hat.

Dann seien wir uns ja einig, erwiderte ich.

Ich schaue mir bloggend bildlich ebenfalls den Untergang der Titanic an, warte auf die Schiff und Personal rettende Wende, die es natürlich nicht geben wird oder auf die Versuche, das Unglück nicht zu groß werden zu lassen. Das ist zwar langweilig, weil es entschieden länger dauert als ein Film, doch ich nutze die Gelegenheit, das Drehbuch zum Untergang quasi während des Films zu verfassen. Ich dokumentiere einzelne Szenen des Niederganges, der früher oder später, eher später, den Untergang unausweichlich machen wird. Soooo langweilig ist das nun auch wieder nicht. Schließlich liefert das Blatt ja mitunter Szenen der Hoffnung, es könnte sich alles zum Guten wenden. Doch diese Szenen werden rar.

Deshalb fand ich es (sehr freundlich ausgedrückt) sehr mutig vom Greifswalder Lokalchef Amler, als er in einem Abschiedsinterview (Er wird versetzt.), das er ausgerechnet einem Internet-Medium gab, meinte:

moritz Wie lange wird es denn noch eine eigene Greifswalder Lokalredaktion geben?
Amler Immer, so lange es die OZ gibt. Und die wird noch lange existieren.

Mit Voraussagen ist das so eine Sache. Ich erinnere an Amlers trotziges (ich nutze ein OZ-Lieblingswort) "Das wolln wir erst mal sehen", das aus diesem Text vom 31. Dezember 2008 herauszulesen ist.

Witzig war der erste Satz:
Wie im Fluge ist es wieder vergangen - das Jahr 2008.
Fliegende Stanze hin oder her, wieso ist es wieder vergangen? Wie viel mal kann das Jahr 2008 vergehen? Wetten, nur ein Mal und dann nie wieder.

Der zweite Satz ist ebenfalls erheiternd, jedenfalls, wenn der Leser nicht dafür bezahlen muss:
Heute halten Sie, liebe Leser, bereits die letzte OZ-Ausgabe in den Händen.
Es war nicht die letzte Ausgabe, wie wir seit Anfang 2009 wissen, wohl aber die letzte im Jahr 2009. Und was das bereits zu bedeuten hat, ist völlig unklar, weil nun mal der 31. Dezember der letzte Tag eines jeden Jahres ist; da ist das Bereits überflüssig und verwirrend.

Doch hierauf wollte ich hinaus:
... glaubt man (Wer ist man?) den Vorhersagen, sollen wir Bürger ja 2009 nicht mehr viel zu lachen haben. Das Gespenst der Weltwirtschaftskrise erschrickt jeden Tag mit neuen Horrormeldungen, zumal sich täglich neue Experten bemüßigt fühlen, uns ihre Vorhersagen zu geben.

Wir halten es daher mit dem Spruch "Schaun wir mal... " Das Gleiche raten wir Ihnen, liebe Leser. ...
Das heißt für mich, er wollte nicht so recht wahrhaben, was da auf die OZ-Abonnenten und auch ihn (Versetzung) zukommt, Preiserhöhung für das Abo inklusive, wie die Leser seit dem Sommer wissen.

Es war schon damals erschreckend, dass sich die Welt schon fast ein Jahr lang in einer Krise befand, jedenfalls für jene, die Aktienkurse verfolgten und die keiner OZ-Schönschrift glaubten, und der Lokalchef empfahl, abzuwarten und Tee zu trinken: Wird schon werden. Dass Greifswald und Umgebung die Krise erst später zu spüren bekamen, war schon damals klar, abzuwarten gab es überhaupt nichts, schon gar nicht für Zeitungsleute.

Die Krise ist inzwischen auch in der Provinz angelangt. Was ist z.B. hiermit?:
Immer mehr Menschen in der Schuldenfalle
Schiffbaukrise, Kurzarbeit und Niedriglöhne führen dazu, dass immer mehr Menschen ihre Rechnungen nicht bezahlen können. ...
Wurde nicht erst kürzlich ein groß Gejammer angestimmt, die Kommunen seien finanziell am Ende? Oder kann Greifswald nur so mit Geld um sich werfen? Musste nicht mächtig hin- und hergerechnet werden, um einen genehmigten Stadthaushalt hinzubekommen?  Mal sehen, wann eine Nachtragshaushalt erforderlich ist. Bietet der Haushalt nicht zahlreiche Entbehrungen? 
Über wie wenig Geld die Stadt, natürlich nicht nur sie, verfügt, ist allein daran abzulesen, dass noch nicht einmal der viel beschriebene, anderthalb Monate alte Schnee aus der Innenstadt abgefahren werden konnte, ist daran abzulesen, dass sog. Ein-Euro-Jobber gesetzwidrig eingesetzt wurden, ohne dass es die OZ merkte. Ich habe keine Lust, mehr aufzuzählen. Die kommenden Jahre werden immer schwieriger werden, übrigens auch für die OZ. Um dass zu erkennen, muss ich kein Experte sein.

Und der Mann schwadroniert vom langen Existieren der OZ. Leider wurde nicht nachgefragt, was er unter lang versteht.

Dass die Situation anders sein wird, als von Amler vorausgesagt, behaupte ich steif und fest. Allein schon die ständig geringeren Abozahlen deuten das Ende an. Natürlich gibt es viele Signale, die jedoch Scheuklappenträger weder erkennen wollen noch können. Hier zwei Beispiele, heute im bösenbösen Internet gefunden.

Hier geht es sehr ironisch zu. Geübte Blogleser erkennen, fast alles trifft auf die OZ zu:
Die Oldenburger "Nordwest-Zeitung" macht es vor: Tipps und Tricks für eine erfolgreiche Lokalzeitung
1. Lieben Sie die Stadt und die Region, für die Sie Zeitung machen!

Vermitteln Sie Ihren Leserinnen und Lesern das Gefühl, dass sie in einer Boomregion leben. NWZ lesen bedeutet, sich warm und kuschelig zu fühlen wie unter einer Daunendecke in einem kalten Zimmer. Drinnen ist's herrlich, draußen ungemütlich. Auch wenn Studien von umstrittenen Lobbyvereinen wie der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft kommen: Bringen Sie deren Ergebnisse groß raus, wählen Sie eindeutige Überschriften, z. B. "Oldenburger Land trotzt der Krise" oder "Zukunft des Landes liegt in Nordwest". Die Leserinnen und Leser werden Sie für diesen Wohlfühljournalismus lieben!
2. Konzentrieren Sie sich aufs Wesentliche!
Recherchieren Sie nur, wenn es Ihnen in den Kram passt und die gute Stimmung nicht gefährdet. Schreiben Sie zur Not einfach über anderes Zeug. ...

 
3. Seien Sie nett zur Wirtschaft!
Eines Ihrer wichtigsten Anliegen sollte es sein, die heimische Wirtschaft zu stützen. ...


4. Seien Sie Rabattkarte!
Stellen Sie Ihren Abonnenten eine Karte zur Verfügung, mit der sie Rabatte für Waren und Dienstleistungen bei hunderten Partnerfirmen der Region bekommen. Es sind ja ohnehin nicht die journalistischen Inhalte, die den Reiz Ihrer Zeitung ausmachen. ...

... Und nun: Viel Erfolg beim Aufbau ihres regionalen Medienimperiums! Lassen Sie sich durch den Pressekodex und durch ethische Grundsätze nicht beirren. Das ist etwas für Kleingeister. Sie aber haben ein größeres, übergeordnetes Ziel: das Meinungsmonopol behalten und ausbauen! 

Lesen Sie ruhig alles. Sie werden staunen, wie ähnlich Zeitungen im Untergang sind.

Niggemeier stellt die Frage:
... Eigentlich müssten La-Ola-Wellen von Journalisten durch das Land schwappen, vor lauter Begeisterung darüber, wie das Internet ihre Arbeit erleichtert und verbessert und ihre Möglichkeiten potenziert hat. Das Gegenteil ist der Fall. Die Online-Welten werden abgetan und belächelt, als Heimat für Betrüger und Perverse denunziert, die digitalen Vorreiter als „Internet-Apologeten” verspottet. Jedes Indiz dafür, dass die junge Internet-Welt noch nicht mithalten kann mit den über viele Jahrzehnte, Jahrhunderte etablierten Formen der Produktion und Finanzierung von Journalismus, wird als Scheinbeleg für die vermeintlich immanente Überlegenheit der Wissensvermittlung auf Papier gefeiert.

Dem Internet wird das egal sein. Es ist nicht auf gute Presse angewiesen. Seine technischen Vorteile sind für die meisten Menschen, die jungen zumal, so offenkundig, dass sie auch nicht darauf hereinfallen, dass in der Rhetorik der Papierjournalistenlobby das Internet synonym ist mit marodierenden Kinderschänderbanden, der Kiosk hingegen anscheinend nur edle Hochglanzzeitschriften feinster Recherchekunst anbietet.

Ein Problem wird die Internetfeindlichkeit der klassischen Medien und Journalisten nur – für die klassischen Medien und Journalisten. ...

4 Kommentare:

  1. Morla15.2.10

    Seit einiger Zeit lese ich hier mit wachsender Begeisterung mit.

    Die OZ lese ich nicht, auch das Pedant, die SVZ, kommt mir nicht mehr auf den Tisch.

    Denn: die 11 Kriterien wie in der TAZ beschrieben, treffen auf beide zu. (Traue mir zu das so zu beurteilen, habe auch schon für den "Verein" gearbeitet.

    Deshalb finde ich es großartig, dass es dieses Blog hier im Norden gibt. Zumal im blogroll noch viele tolle "Ergänzer" zu finden sind. Insgesamt ist ja dieses M-V nicht nur "medienmäßig" ein weiser Fleck.

    Deshalb Dank an Sie für die Mühen und die investierte Zeit, wir "LeserInnen" brauchen Sie.

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  2. Oho, das lese ich gern! Danke!

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  3. Hanke16.2.10

    @Morla:

    Schön, dass Sie die Medien und M-V in Gänze als "weisen" Fleck bezeichnen. Dann kann es ja so schlecht um die Zukunft nicht bestellt sein :-) Und noch ein kleiner Tipp: Selber gute Leistung bringen, ist auch ein Ansatz. Ist natürlich schwerer, als über andere pauschal herzuziehen. Aber wenn Sie schon für "den Verein" gearbeitet haben, ist es schade, dass wir uns nicht länger an Ihren investigativen Beiträgen erfreuen durften.

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  4. @ Hanke:

    Ich bin nicht Morlas Verteidiger.

    Dennoch: In meinem Beitrag ging es keineswegs um investigativen Journalismus, sondern um den ganz normalen, alltäglichen, so wie sein Verschwinden in den elf Punkten treffend kritisiert wurde und für den es lohnen würde, als Leser Geld auszugeben. Wenn Sie den normalen Journalistenalltag schon als investigativen Journalismus ansehen, frage ich mich, wie Ihr Arbeitsalltag aussieht.

    Und dies:
    ist es schade, dass wir uns nicht länger an Ihren investigativen Beiträgen erfreuen durften.
    ist deshalb überflüssig. Es ging um jene, die als Redakteure ihr Geld verdienen, nicht um jene, die es nicht oder nicht mehr tun.

    Übrigens müssten nach Ihrem Dafürhalten z.B. Literaturkritiker die besten Schriftsteller sein.

    Es ist bedrückend, wie Leute wie Sie auf Kritik reagieren, erinnert sehr daran, wie es der von mir zitierte Niggemeier beschrieben hat.

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