6. November 2007

Wieder ganz nebenbei: So einfach ist Journalismus

Wieder einmal hat die OZ ein Thema nicht genutzt, um Hintergrund zu liefern, der den Lesern dieser Regionalzeitung einen Nutzen bringen könnte. Stattdessen leistet die Zeitung mit der Blickpunktseite zum Contergan-Skandal, der 50 Jahre her ist, einen ausgezeichneten Beitrag zur Öffentlichkeitsarbeit für die ARD.

Wie viele Contergan-Opfer gab es in der DDR, wie viele davon in den früheren Bezirken Neubrandenburg, Schwerin und Rostock, dem heutigen Mecklenburg-Vorpommern? Keine? Das würde mich nicht wundern. Doch wo ist dann der Bezug des Themas zur Region? Es gibt keinen.

Warum stellte die OZ das Thema so ausführlich dar? Ganz einfach: Die Seite ließ sich schnell zusammenbasteln, denn der WDR verschickt gern eine umfangreiche Pressemappe zum Thema (Ich habe nachgefragt.). Das ist der einzige Grund (neben dem indirekten der Öffentlichkeitsarbeit für die ARD), eine ganze Seite einer ostdeutschen Regionalzeitung mit Contergan-Geschichten zu füllen, statt den Skandal mit aktuellem Hintergrund zu verbinden.

Hier ein Zitat aus dem Text von Beate Krüger (oder aus der Pressemappe?):

Vor 50 Jahren gab es kein Arzneimittelgesetz, das strenge Auflagen erteilt, bevor ein Medikament zugelassen wird. Contergan mit dem Wirkstoff Thalidomid war nur bei Tierversuchen getestet worden. Vor 50 Jahren gab es auch keine Meldepflicht der Geburtskliniken über Missbildungen oder Krankheiten bei Neugeborenen. So dauerte es Jahre, bis ein Zusammenhang zwischen Contergan und den missgebildeten Babys hergestellt wurde und ein langer Prozessweg in Gang kam.
Heute gibt es ein Arzneimittelgesetz und dennoch werden junge Frauen bedenkenlos und massiv aufgefordert, sich gegen Gebärmutterhalskrebs impfen zu lassen, zum Beispiel zu Monatsbeginn in der Quarks & Co.-Sendung "Wie viel Impfung muss sein?".
Seltsam, darüber ist nichts geschrieben worden, in der OZ sowieso nicht:


 FDA: Erste UAW-Verdachtsfälle nach HPV-Impfung mit Gardasil®
Washington – Bei der amerikanischen Arzneibehörde FDA sind seit der US-Zulassung der HPV-Vakzine Gardasil im Juni 2006 1.637 Berichte über mögliche unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) eingegangen. ...

Wohlgemerkt, das ist eine vorbeugende Impfung, kein Medikament, das Ärzte gegen eine bereits ausgebrochene Krankheit einsetzen. Mit der Krügerschen - oder wessen auch immer - Textpassage gaukelt die OZ den Lesern vor, heute könne so etwas nicht mehr passieren.
Was schreibt das Paul-Ehrlich-Institut dazu, Frau Krüger? Hätten Sie doch einfach gefragt, statt sich auf eine Quelle zu verlassen. Dort hätten Sie innerhalb von 24 Stunden - ich habe es getestet - unter anderem dies zugeschickt bekommen:

Anerkannte Impfschäden in der Bundesrepublik Deutschland 1990–1999.
Bundesgesundheitsbl - Gesundheitsforsch - Gesundheitsschutz 2002 · 45:364–370 © Springer-Verlag 2002

Darin steht sogar, wie in der DDR verfahren wurde. Zu erfahren ist auch, dass nach der sog. Wende viele ehem. DDR-Bürger Anträge auf Anerkennung von Impfschäden stellten (wenn sie denn wussten, dass sie das können und dass möglicherweise ein Impfschaden vorliegt, der in der DDR abgelehnt wurde oder gar nicht erst erkannt wurde und dass sie es ertragen, jahrelang auf dem Gerichtsweg um die Anerkennung kämpfen zu müssen).

Frau Krüger, oder wer auch immer, fand heraus:

Zwar kam es 1968 zum Prozess. Grünenthal konnte jedoch keine eindeutige Schuld nachgewiesen werden.
Genau das ist auch heute noch das Dilemma, der eindeutige Schuldnachweis. Deshalb gibt es auch Vermutungen, das bis zu 95 Prozent der Impfschäden - also durch das Impfen als Vorbeugung - nicht erkannt werden.
Schon mal davon gehört, Frau Krüger oder vom Schutzverband für Impfgeschädigte e.V.
oder hiervon?

Aus dem Paul-Ehrlich-Institut ist auch zu erfahren, dass Schädigungen Gesunder bewusst in Kauf genommen werden müssen:

... Impfstoffe sind, wie alle anderen wirksamen Arzneimittel auch, nicht völlig frei von Nebenwirkungen. In äußerst seltenen Fällen können sie zu Gesundheitsstörungen und Erkrankungen führen. An ihre Sicherheit werden jedoch höhere Anforderungen gestellt, als etwa an Arzneimittel zur Behandlung schwerer Erkrankungen, denn Schutzimpfungen werden zumeist bei gesunden Personen eingesetzt.
...

.
.. Auch bei umfangreich klinisch geprüften Impfstoffen kann also nicht ausgeschlossenen werden, dass sehr seltene Nebenwirkungen erstmals im Rahmen der breiteren Anwendung beobachtet werden. Daher ist es ganz besonders wichtig, Verdachtsfallberichte von Nebenwirkungen und Impfkomplikationen zu den einzelnen Impfstoffen zu melden.
(Ein Thema, das die Pharmaindustrie sicher als abwegig ansieht (nachfragen!))


... Ein Nachteil der Erfassung von Verdachtsmeldungen zu Impfkomplikationen bzw. Nebenwirkungen ist, dass Aussagen zur tatsächlichen Häufigkeit der Nebenwirkungen nicht möglich sind. Bekanntermaßen werden nicht alle Nebenwirkungen gemeldet. Dieses sogenannte – underreporting - hat zahlreiche Gründe, z. B. der Patient meldet sich nicht beim Arzt oder der Arzt stellt den Zusammenhang mit einer stattgefundenen Impfung nicht her (z. B. weil die Symptome einer Grunderkrankung zugeordnet werden). ...


Hallo, Frau Krüger, schauen Sie auf die Webseite des Institutes und Sie werden sich wundern, dass Gesunde, die gegen Windpocken geimpft wurden - an Windpocken erkrankten, weil der Impfstoff nicht wirkte.
Nachschauen macht natürlich zusätzliche Arbeit, erst recht, dann zu recherchieren und endlich einmal ein Thema exklusiv in die OZ zu bringen.

Nachtrag, 08.11.07:
Besser ist der Unterschied zwischen Journalismus und Aufschreiberei nicht zu verdeutlichen, als am Unterscheid zwischen der OZ-Blickpunktseite und der Hart-aber-fair-Sendung zum selben Thema.

Nachtrag, 09.11.07:
Auch hier ist mehr nachzulesen als auf der gesamten Blickpunktseite.

Ein anderes Thema, das ohne jeglichen Hintergrund in der OZ landete, natürlich nur im übertragenen Sinne:

Neuer Tiefschlag für EADS
Lieferverzögerungen beim Transporter Airbus A400M kosten den europäischen Luft- und Raumfahrtkonzern 1,4 Milliarden
Hintergrund gibt es z.B. bei Wikipedia. Dort ist nachzulesen, übrigens eine Sache von drei Minuten:

Seit Ende 1997 zog die Bundeswehr in Betracht, einige Antonow An-70 zum Ausbau der Langstreckentransportkapazitäten zu beschaffen, die durch das bisherige Transportflugzeug Transall nicht mehr bewältigt werden können. Auf massiven Druck des NATO-Partners USA hin und aus dem Wunsch, eine europäische Autarkie bei der Neubeschaffung von Wehrtechnik zu erreichen, wurde schließlich Airbus mit der Konstruktion der Airbus A400M beauftragt.
Übrigens flog die AN 70 (oben ein Foto der Maschine, aus Wikipedia) schon im Jahr 2000 - nach Berlin, zur Internationalen Luftfahrtausstellung. Erstmals flog die AN 70 bereits Ende 1994. Das alles brauchen OZ-Leser nicht zu wissen. Außerdem gibt es wohl keinen OZ-Redakteur, der sich mit Flugzeugen auskennt.

2 Kommentare:

  1. Anonym9.11.07

    hallo,

    obwohl ich eher selten (nur im ostseeurlaub) die oz lese, finde ich es sehr anmaßend, zu befinden, dass ein thema, wie contergan, die oz leser nicht zu interessieren hat.
    journalisten sind gehalten umfassend über das geschehen, sowohl in der heimat als auch in der welt zu berichten, schließlich ist die oz kein ortsblättchen eines kleinen kuhkaffs

    beste grüße

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  2. Genau das maße ich mir nicht an!

    Bitte lesen Sie genau, was ich schrieb: Die OZ hat wieder einmal verpasst, ein Thema zu nutzen, um den Lesern einen echten Nutzwert zu bieten, nämlich herauszufinden, wie es denn h e u t e um die Unbedenklichkeit von Medikamenten bestellt ist. Dazu bot der Contergan-Film eine hervorragende Möglichkeit. Bsp.: In der Sendung "Hart aber fair" wurde journalistisch ausgewogen mit hohem Nutzwert (abgesehen vom Impfstoff Gardasil) eben das getan, was ich in der OZ vermisste. Das hat doch mit Anmaßung nicht zu tun.

    Ich wollte lediglich den Unterschied zwischen Journalismus und Abschreiberei zeigen. (Schade, dass Sie das nicht erkannt haben.) Insofern ist Ihr Ausdruck "kein Ortsblättchen eines kleinen Kuhkaffs" zu überdenken. Ich bin davon überzeugt, dass in Kuhkäffern, was immer das sein mag, gute journalistische Arbeit geleistet werden kann, in anderen Gegenden, z.B. Großstädten, nicht - und umgekehrt.
    Gute Arbeit ist unabhängig vom Arbeitsort.

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