13. August 2007

Das Interview mit dem Nasenring

Ein Leser hat mir das Interview mit Ministerpräsident Ringstorff aus der gedruckten OZ-Ausgabe vom 10. August gebracht.
Wunderbar dokumentieren die beiden (!) fragenden Redakteure, wie Ringstorff sie am Nasenring durch das Interview führt.

Die ersten beiden Fragen sind völlig überflüssig:
OZ: Herr Ringstorff, wie war Ihr Urlaub? ...
OZ: Sie vertreten in dieser Woche Horst Köhler, der in den Ferien ist. Wie fühlt man sich als Bundespräsident?
Dann ging es um die Kreisgebietsreform:
OZ ... Was würden Sie anders machen, wenn Sie die Zeit zurückdrehen könnten?
Und promt kommt die erste Nasenringführung: Ringstorff stellt klar, er würde nichts anders machen. Die OZ fragte tatsächlich nach:
Kritiker werfen Ihnen vor, angesichts des harschen Greifswalder Urteils zu wenig Demut und zu wenig Einsicht in die eigenen Fehler zu zeigen ...
Das lässt sich Ringstorff nicht gefallen und zieht wieder am Nasenring:
... Wir nehmen zur Kenntnis, dass die von uns angestrebten fünf Regionalkreise laut Gericht offenbar zu weite Entfernungen für Kreistagsabgeordnete mit sich gebracht hätten. ...
Dann glaubte ich einen Moment lang, nun würde dem Ministerpräsidenten endlich die Frage gestellt, woran die OZ-Leser merken könnten, dass M-V langsam aber sicher zu den anderen Bundesländern aufhole, wie er die in der Regierungserklärung im Frühjahr geäußert hatte, denn:
OZ: ... Der Aufschwung verläuft im Nordosten nicht so rasant wie in den alten Bundesländern. Wann wird sich das ändern?
Ringstorff erhielt nun die Gelegenheit zu schwadronieren:
Wichtig ist, dass wieder sozialversicherungspflichtige Jobs entstehen.
Wie viele sind denn entstanden? Keine Nachfrage.
Im Jahresdurchschnitt
2006 gab es 4600 solcher sog. Jobs mehr als 2005, bei 176900 Arbeitslosen im Land (ohne OVP) 2,6 Prozent mehr als 2005. (Quelle: Zahlenspiegel, Statistisches Landesamt)
Auch die Zahl der Langzeitarbeitslosen nimmt ab.
Ach ja? Wo sind denn die 9000 Alg 2-Empfänger (im Interview nennt
sie Ringstorff, der Auskenner, Hartz-4-Empfänger) geblieben? Keine Nachfrage.

Jetzt wieder ein Zug am Nasenring:
Bei der Arbeitslosenquote liegen wir fast gleichauf mit Sachsen-Anhalt und Berlin.
Na klar, statt sich wenigstens am Bundesdurchschnitt zu messen, nennt
Ringstorff
die anderen Schlusslichter. Vor meinem geistigen Auge sehe ich die beiden OZ-Redakteure, wie sie sog. wichtige Gesichter machten und ein wenig nickten, statt nachzufragen. Es hätte z.B. auch nach dem Bruttosozialprodukt gefragt werden können oder nach dem verfügbaren Einkommen. Auch hier ist M-V Schlusslicht.

Dann der heftige Ruck am Nasenring:
Eine Prognose, wann wir die Rote Laterne abgeben werden, wage ich nicht.
Statt hier einzuhaken und Ringstorff an seine Regierungserklärung zu erinnern, schwafelt einer der Interviewer von Großinvestoren. Die sind seit 17 Jahren ausgeblieben.
Es folgte die völlig überflüssige Klein-Fritzchen-Frage:
Trotz hoher Arbeitslosenquote fehlen dem Land zunehmend Facharbeiter. Was wollen Sie dagegen tun?
Ringstorff zottelte jetzt mächtig am Nasenring:
Es ist ja nicht so, dass es bei uns keine qualifizierten Arbeiter gibt. Im Gegenteil: Tag für Tag fahren Tausende von Mecklenburg-Vorpommern nach Schleswig-Holstein, Hamburg oder Niedersachsen. Diese qualifizierten Pendler bleiben gern in MV, wenn sie hier einen guten Arbeitsplatz fänden. ...
Wahrscheinlich meinte er gut bezahlte Arbeitsplätze.

Die Redakteure wollten wissen, was der Ministerpräsident von dem Vorschlag halte, die Alg 2-Sätze an die Inflationsrate anzupassen.
Ringstorff meinte, der Regelsatz orientiere sich an den Preisen innerhalb des sogenannten Warenkorbs ... Wenn die Preise stiegen, müsse sich das bei den Alg 2-Sätzen bemerkbar machen.
Das ist eine irreführende Verkürzung, zu der es keine Nachfrage gab. Das Alg 2 ist von vornherein zu niedrig bemessen und müsste etwa 420 statt 347 Euro betragen. Das haben Vertreter vieler Organisationen berechnet. Außerdem wird der Regelsatz nach den 20 Prozent der einkommenschwächsten Deutschen berechnet. Er soll das Existenzminimum decken, tut es aber nicht. Nach der Ringstorffschen Meinung würde der zu geringe Satz angepasst, also zu gering bleiben. Wie angepasst werden soll, ist natürlich völlig offen.

Nur noch einiges zu einer Frage, die anderen sind nicht der Erwähnung wert:
OZ: In Lubmin soll gegen den erbitterten Widerstand von Naturschützern und Touristikern ein neues Steinkohlenkraftwerk gebaut werden. Sind es 140 neue Jobs wert, einen ganzen Landstrich zu verschandeln und Touristen abzuschrecken?
Was soll das? Sind es nur Naturschützer und Touristiker, oder lehnen auch ganz normale Lubminer, Leute von der Insel Usedom und Rügen das Kraftwerk ab? Ich wette darauf. Doch die Interviewer verkleinern das Problem.
Ringstorffs Antwort muss so verblüffend gewesen sein, dass die OZ-Vertreter jegliches Nachfragen vergaßen. Wahrscheinlich schmerzte der Nasenring.
Ringstorff: In Rostock gab es vor Jahren ähnliche Bedenken.
Und jetzt kommt es:
Die haben sich nach dem Bau des Kraftwerkes gegeben.
Was sollten Bedenken auch noch ausrichten, wenn das Kraftwerk bereits steht, die Umgebung verschandelt und die Luft verdreckt? Das ist eine irre Logik, die die OZ-ler verstanden haben müssen, sonst hätten sie nachgefragt.

Gleich noch so ein Irrsinn:
Wenn nicht in Lubmin ein Steinkohlenkraftwerk gebaut wird, dann mit Sicherheit anderswo. ...
Alles klar? Es ist völlig egal, dass das Kraftwerk in einer Ferienregion gebaut wird, denn eine Region ist wie die andere. Und das darf ein Ministerpräsident äußern, ohne dass nachgefragt wird.
Das Werk wird gebaut, egal wer welche Bedenken hat. Und dass der Widerstand nicht größer ist, hat die OZ meiner Meinung nach mit zu verantworten.

Für mich ist das Interview ein weiterer Schritt der OZ auf dem Weg zum Regierungsblättchen. Vielleicht ging das anderen Lesern auch zu weit und sie kaufen die Zeitung nicht mehr. Vom 1. Quartal 1998 bis zum 2. Quartal 2007, also in neun Jahren und einem Quartal, verringerte sich die Zahl der verkauften Exemplare um mehr als ein Fünftel und die Zahl der Abonnenten um fast ein Viertel.



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