Diether Döring ist 70 Jahre alt, Arbeitsmarktexperte und Kritiker der Hartz-Gesetze: "Wenn man mal die gesamten Hartz-Gesetze, nicht nur Hartz IV, als Ganzes nimmt, dann hat man eine Gruppe vergessen, die eine gute Bildung hat, die sich angestrengt hat, die lange gearbeitet hat.“
Vergessen hat man also Menschen wie Albrecht Wetzel, ein Mann aus der Mittelschicht. Vor drei Jahren wird er arbeitslos. Mit 52 Jahren, nach 20 Jahren bei derselben Firma – der Maschinenbaubetrieb, für den er tätig war, ging pleite. ...
Was folgt ist ein Doppelschlag
... Albrecht Wetzel geht regelmäßig zu seiner Arbeitsagentur, er erkämpft sich berufliche Qualifizierungskurse ... Doch er wird enttäuscht: kaum Angebote von der Agentur, und trotz Eigeninitiative ist kein Job in Sicht.
Nach 15 Monaten kommt das Ende der Bezugsdauer. Mit dem Arbeitslosengeld ist Schluss. Eigentlich wäre jetzt Hartz IV die Folge. Das geht aber nicht, denn der Alleinverdiener mit Familie hat fürs Alter vorgesorgt. Eigentlich hat er Glück, er gilt deshalb nicht als bedürftig. Noch zehn Jahre bis zur Rente - wie lange wird das Geld wohl reichen, wenn er nun das tägliche Leben, die Krankenversicherung, vom Sparkonto bestreitet?
Der Arbeitsmarktexperte Döring schildert die Lage: "Der betreffende Mann wird getroffen von einem Doppelschlag: Zum einen hat man die Leistungsdauer des Arbeitslosengeld 1, des eigentlichen versicherungsartigen Arbeitslosengeldes, deutlich verkürzt, gerade für Ältere. Und hier gerät er unter den zweiten Hammer der Neuregelung, nämlich eine beschleunigte Anrechnung aller Mittel auf die er zurückgreifen kann. Das heißt, er fällt dann durch die Art der Bedürftigkeitsprüfung im Grunde aus dem System raus, wird faktisch ausgesteuert."
Das bedeutet: Das Geld für das Alter muss er jetzt plündern – mit Mitte 50 bricht sein gesamter Lebensplan weg. Der soziale Abstieg aus der ehemals gutsituierten Mittelschicht macht ihm Angst ... Fordern und Fördern, der Leitspruch der Hartz-Reform, er müsste jetzt endlich greifen. Wetzel will und muss arbeiten, denn mit jedem Jahr ohne Arbeit wird auch die Rente kleiner. Doch beim Jobcenter erfährt er: "Die können für mich gar nichts tun, weil die nicht zuständig sind, weil ich kein Hartz-IV-Empfänger bin."
Nicht zuständig? Nun wird es absurd: Hartz 4 kriegt er nicht, weil er nicht arm genug ist. Weil er aber kein Hartz 4 kriegt, gibt es für ihn auch keine Betreuung, keinen Fallmanager, keine 50-plus-Programme. Mit 55 Jahren ist er also jetzt nach drei Jahren langzeitarbeitslos und auf sich allein gestellt ...
Falls jemand wieder sagen sollte, es gebe genug Arbeit in Deutschland, zeigen Sie ihm dies, was Sie nicht aus dem selbsternannten Hochwertblatt erfahren werden:
Januar 2010 - die offiziellen Zahlen:
3.617.485 Menschen werden als “registrierte Arbeitslose” bezeichnet.
1.543.888 Menschen sind in “Maßnahmen aktiver Arbeitsmarktpolitik” - aber weiterhin arbeitslos.
1.015.627 weitere Menschen erhalten Lohnersatzleistungen nach dem SGB III oder Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II.
354.068 Menschen über 58 fallen zusätzlich nach SGB II in vorruhestandsähnliche Regelung - keine Vermittlung mehr möglich.
160.484 Menschen über 58 erhalten Leistungen zusätzlich nach SGB III als nichtarbeitslose Leistungsempfänger - Arbeitsentgeld reicht nicht zum Lebensunterhalt.
Über 200.000 Menschen sind bei privaten Arbeitsvermittlern vorstellig - sie kommen in der offiziellen Statistik nicht mehr vor.
Dem gegenüber stehen im gleichen Zeitraum laut IAB insgesamt 942.000 offene Stellen - hauptsächlich im Niedriglohnsektor. Wenn alle offenen Stellen besetzt sind, bleiben immer noch weit über 5 Millionen Arbeitslose übrig.
Wer sich dafür interessiert, wie die sog. Hartz-Gesetze gescheitert sind, erfährt es hier kurz und knapp, jedoch nicht aus dem Regierungsblättchen:
Die große Bilanz
Alles über Hartz I bis IV
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Armut per Gesetz oder Chance für die Hoffnungslosen? Die Meinungen über die gewaltigste Sozialreform der Nachkriegszeit gehen auseinander. Die wichtigsten Instrumente aus den vier Hartz-Gesetzen - von der Leiharbeit bis zum Ein-Euro-Job. Was funktioniert? Was floppt? Wo gibt es Nachbesserungsbedarf? ...
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