20. Juni 2013

Wen wunderts?

Dies nebenbei und vorangestellt:
Bis auf die Kinder hatten es alle Obama-Beklatscher redlich verdient, stundenlang auf dem Pariser Platz unter der Sonne bildlich zu schmoren, ohne Wasser, ohne Sonnenschirme, dafür unter den Läufen von Scharfschützengewehren und vor einer Art Aquarium sitzend, in dem sie der von Medien wie dem Hochwertblättle hochgeschriebene, einstige Friedensengel/Heiland mit einer Rede langweilte. Sie hatten es verdient, weil jeder von ihnen hätte zu Hause bleiben oder arbeiten gehen können oder im Müggelsee baden, was auch immer.

Die OZ plapperte nach, was das Zeug hält, seitenlang, und grub auch noch bildlich Kennedy aus. Geht es noch langweiliger?

Dann ein falsches Versprechen in der Dachzeile:
US-Präsident Barack Obama in Berlin:Die Rede am Brandenburger Tor
Die Rede können Sie natürlich nicht im Blättle nachlesen; sie war sogar den Redakteuren zu langweilig:
Viel Konkretes hat Obama seinen Zuhörern in Berlin nicht zu sagen. ...
Wer sich mal richtig langweilen möchte, kann die Rede kostenlos nachlesen, ist in der ÖR-Steuer bereits enthalten. Insofern, danke OZ, jedoch nicht für die falsche Oberzeile.

Dennoch enthält der elend lange Artikel nichts Interessantes, nichts das anderswo nicht kostenlos nachgelesen werden konnte.

Im Gegenteil, und das ist typisch Hochwertzeitung, die OZ verschweigt Merkels bildlichen Frontalangriff auf die Netzfreiheit.

In der Unterzeile stand:
Und die Kanzlerin wundert sich übers Internet. ...
Das ist nicht nur verniedlichend, sondern es ist falsch, grundfalsch und damit erneut leserverblödend.

Hier aus dem OZ-Text:
Angela Merkel, allerdings unfreiwillig: „Das Internet ist für uns alle  Neuland“, sagt die Kanzlerin beiläufig, als es mittags bei der Pressekonferenz im Kanzleramt um die Späh-Affäre des amerikanischen Geheimdienstes NSA geht. ...
Sie sagte noch mehr und zeigte, wie gefährlich diese Frau ist - die OZ verschweigt es den Lesern, Teil der Verblödung.

Im bösenbösen Internet gibt es zu Merkels Aussagen reichlich nachzulesen, Kritisches, auch Hochwertiges, kostenlos. Ein paar Lesehinweise:

#neuland · Die Bundeskanzlerin der Maschinenstürmer

Kaum zu fassen: Das Internet ist nagelneu, gibt es erst seit ein paar Wochen – und wir alle haben es nicht mitgekriegt! ...

Oder, allerdings für OZ-Personal völlig ungeeignet und damit stinklangweilig:

Ich habe nichts zu verbergen

Das großartigste Nicht-Argument für alle, die zu bequem sind, ihre Grundrechte zu verteidigen – und erst recht für Journalisten. ...

Oder, besonders empfohlen:

„Neuland“ ist nicht lustig

Es ist ein bisschen wie beim Fußball. Wenn Angela Merkel da so steht, hüpft und klatscht, möchte man ihr alles verzeihen. Und selbst wenn das wegen innerer Blockaden nicht möglich ist, so fällt es doch schwer, die Bundeskanzlerin ernst zu nehmen, wenn sie auf „Mutti“ macht. Als sie auf der Pressekonferenz im Rahmen des Besuchs von Barack Obama sagte, das Internet sei für uns alle Neuland, war die Reaktion eine Welle der Belustigung. Über Internetüberwachung sprach aber niemand mehr. Perfekt inszeniert, könnte man sagen. ...

Hier der Gegenartikel zu dem Käse aus dem Blättle:

Obama in Berlin: Zur Pose erstarrte Symbolik und leere Worthülsen

Politik braucht Darstellung, zur Demokratie gehören Massenversammlungen, große Reden brauchen Sätze, die sich ins kollektive Gedächtnis eingraben. Nichts davon, war gestern bei Obamas und Merkels Auftritt auf dem Pariser Platz vor dem Brandenburger Tor ausfindig zu machen. Die ganze Inszenierung war wie eine bombastische Attrappe, die jeden Augenblick zu zerbersten drohte. Da saßen die Hauptakteure wie in einem Aquarium hinter einer riesigen schusssicheren Glaswand. Auf den umstehenden Dächern wachten unverkennbar Scharfschützen. Der Platz auf der westlichen Seite des Brandenburger Tors war leergefegt und die Straße des 17. Juni war menschenleer. ...

Und ein Kommentar, den das Quali-Blättle nicht in zehn Jahren zustande brächte:

... In Merkels wenigen Worten spiegelt sich denn auch die ganze erbärmliche Netzpolitik der Bundesregierung. Eine Netzpolitik, die das Internet in erster Linie als Gefahrenquelle ansieht und wenn überhaupt, dann nur nachrangig als Chance.
Vorratsdatenspeicherung, Netzsperren, Bestandsdatenauskunft, Staatstrojaner, Leistungsschutzrecht und die ausbleibende Reform des Urheberrechts, der stockende Breitbandausbau, eine Stiftung Datenschutz ohne Datenschützer, die Blockade der EU-Datenschutzverordnung, die Weigerung, Netzneutralität gesetzlich festzuschreiben, die gescheiterte Selbstverpflichtung für soziale Netzwerke, sich an deutsches Datenschutzrecht zu halten und nun auch noch ein geplanter Ausbau der Internetüberwachung beim BND – so sieht die netzpolitische Bilanz Merkels nach zwei Legislaturperioden aus. ...
Das sind Themen, denen die OZ seit Jahren erfolgreich bildlich aus dem Weg geht - weil sie selbst das Internet zuerst als Gefahr sieht. Lieber lässt sich das Blättle dafür bezahlen, dass es verkündet, gestern wäre der heißeste Tag seit vorgestern gewesen.

Und noch dies, wozu die OZ wegen des letzten zitierten Satzes unfähig ist:
... Diese Gefahr aber kommt nicht aus dem Netz, dem Telefon oder dem Briefkasten. Sie kommt von den Menschen, die Merkel nur mehr als Manövriermasse, Arbeitspflichtroboter und lästiges Pack von Nörglern kennt, das den Zoll ihrer “Globalisierung” nicht schweigend entrichten will. Die sind die Gefahr, nicht etwa der rassistische Popanz eines Islamismus, der in Jahrzehnten des Alarms niemanden bedrohte, während Nazis unbehelligt ihre Blutspur durchs Land zogen.
Dass die Hofschreiber dies anders sehen, versteht sich. ...
Dieses Zitat beschreibt zu gut, was ich z.B. mit dem Hochjubeln Obamas meine, als dass ich es nicht kopierte:
... Man muss heute nur einmal die Reaktionen auf den gestrigen Besuch (und die Rede) Barack Obamas lesen, hören und sehen. Wir erleben das faszinierende Schauspiel, dass Journalisten über den Live-Ticker-Wahn zu Hofschranzen werden, die dem der Berichterstatter der frühen 1960er Jahre in nichts nachstehen. Edo Reents hat dazu das Nötige gesagt. Die Medien selbst erzeugen also erst die Aufmerksamkeit, über sie dann berichten. ... 
Es ist offenkundig völlig unsinnig, die Rede Kennedys mit der von Obama gestern zu vergleichen. Trotzdem macht es fast jeder Berichterstatter. ... 

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